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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Gieseking
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alle suchten nach Stellen. Und immer wieder musste er hören, ohne Finnisch sprechen zu können, sei da nichts drin. Selbst zugesagte Stellen scheiterten an der Weigerung von Vorgesetzten, ihn zumindest am Anfang auf Englisch einzuweisen. Ein anderes Problem war die fehlende Versicherungskarte. Die KELA , wie man hier sagt. Die KELA ist als staatliche Organisation zuständig für die gesamte Sozialfürsorge. Jeder Finne bekommt bei seiner Geburt eine KELA -Nummer, über die bis zum Tod alles geregelt wird. Wer keine Nummer hat, findet nicht statt im finnischen System.
    Trotz EU -Recht erhielt Axel zunächst nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Zudem war seine Krankenversicherung nicht geklärt. Ohne Versicherungskarte aber konnte er nicht in die Sprachkurse aufgenommen werden. »Die Regelungen für politische Flüchtlinge waren klarer und leichter als die für mich als EU -Bürger«, beschreibt Axel seinen damaligen Frust.
    Inzwischen besitzt Axel die begehrte Nummer und studiert an der Fachhochschule Lahti. Ein spezieller Studiengang, der sich an ausländische Studenten richtet, mit Aufnahmeprüfung. Es gab über 180  Bewerber, 30 wurden genommen. Axel war dabei. Ilse zweifelt immer noch: »Und das hast du geschafft?« Sie schaut kurz zu mir rüber und meint: »Ob du dien Studium affeschloaten häst, weit ick ok nich. Du häst us datt Zeugnis nie e zeiget.« Unfassbar! Noch 25  Jahre später so ein Satz!
    Ich antworte achselzuckend: »Das ist bei mir wie in der Kirche. Du kannst es glauben oder nicht.« Sie sieht mich böse an, und ich tröste sie: »Aber falls es einen Gott gibt, habe ich vielleicht auch mein Studium abgeschlossen.« Unsere Finnen lachen sich schief.
    Lachs und Salat werden herumgereicht, das Brot steht auf dem Tisch. Der Mond hängt am Himmel. Still ruht der See. Schade, das wir morgen fahren müssen.
    Wir vermeiden das Thema. Wir schweigen. Sieben Finnen schauen zum Mond. Eine Eule fliegt über unsere Köpfe. Dann knattert wieder ein russischer Außenbordmotor durch unsere Gedanken.

Der Verein der unterdrückten Männer
    Montagmorgen. Unser vierter und letzter Tag am
mökki
. Wir sitzen um den Frühstückstisch. Alle. Bis auf Ilse. Minuten später kommt sie herein.
    »Moin!«, sagt sie ostwestfälisch.
    »Moi«, antworten unsere Finnen finnisch.
    Sie hält sich die Hand vors linke Auge. Dann nimmt sie sie herunter: komplett blau.
    Wir sind alle erschrocken! Sie hebt mit einer Hand das geschwollene Augenlid an, schaut von einem zum anderen, schließlich wieder auf Hermann, und dann sagt sie grinsend mit Blick auf ihren Mann: »Hei hätt sick e wehrt!« Er hat sich gewehrt! Und setzt sich.
    Trotz des Schrecks müssen wir laut lachen. Ilse war in der Nacht gestürzt. »Dabei ist es nachts gar nicht so dunkel hier«, sage ich. Aber die Tür hatte leicht geklemmt, sie hatte mit Schwung dagegen gedrückt, war eine kleine Stufe herabgestürzt und auf einen Liegestuhl gefallen.
    »Was ein Glück, dass ich da selber am Abend noch drin gesessen habe. Sonst hätte Hermann aber einen Elfmeter bekommen!« Sie behält auch im Schmerz ihren Humor. Wir aber machen uns Sorgen. Matti telefoniert nach einem Arzt. Es ist schwierig. Die meisten Mediziner sind selber im Sommerurlaub.
    »Ich denke, die haben hier so ein gutes System«, sagt Hermann.
    »Hatten«, erwidert Axel.
    Es erweist sich als unmöglich, hier draußen einen Arzttermin zu bekommen. Wir wollten im Laufe des Tages zwar ohnehin wieder nach Lahti zurückfahren, denn auch Axel und Viivi müssen in die Stadt, Axel hat Verschiedenes für sein Studium zu regeln, und Viivi muss arbeiten, aber auch in Lahti macht man uns am Telefon keine Hoffnung. Mir kommt eine Idee. »Wie wäre es mit einem kleinen Umweg?«
    Reinhard, ein Freund aus Göttingen, hatte mir nämlich eine Telefonnummer gegeben. Er hatte gesagt: »Wenn du durch Finnland fährst und in der Nähe von Kokkola vorbeikommst, besuche bitte Freunde von mir. Dort wartet jederzeit ein Kaffee, etwas zu essen und ein Bett für die Nacht auf dich.« Diese stehende Einladung kommt mir jetzt wieder in den Sinn. Und das Beste: Ich erinnere mich, dass die Freunde, Hajo und seine Frau Anna Maj, beide Ärzte sind! Wenn das kein Wink des Schicksals ist …
    Ich rufe in Kokkola an. Eine tiefe Männerstimme ist am Telefon. Ich stelle mich vor und erzähle von Ilses Problem. Hajo sagt sofort, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern: »Kommt vorbei!«
    Ilse fragt mich: »Woher kennst du die?«
    »Ich kenne

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