Finnisches Inferno: Kriminalroman (Arto Ratamo ermittelt) (German Edition)
Tasche und verließ die Künstlerbar, ohne zu bezahlen. Er war in Moskau so bekannt, dass er sich auf seiner Datsche in Pereslawl-Salesski, einer Kleinstadt hundert Kilometer von Moskau entfernt, im Kreise seiner Familie am wohlsten fühlte. Das Idyll am Ufer des Pleschtschejewo-Sees hatten vor ihm schon viele andere russische Legenden entdeckt: Als erste Prinz Juri Dolgoruki und der Heerführer Alexander Newski. In Moskau hielt sich Orel nur auf, wenn es die Geschäfte erforderten. Dann wohnte er in der Doppelsuite im obersten Stockwerk des »Metropol«, die pro Nacht dreitausend Dollar kostete. Die brauchte Orel allerdings nicht zu bezahlen: Seine Organisation schützte das »Metropol«.
Es war Mittagszeit. In der Regel speiste Orel im Restaurant »Bojarski«, dessen Spezialität die traditionelle russische Küche war, doch heute wollte er etwas Leichtes essen und frisch und munter bleiben. Also entschied er sich, ins Restaurant »Metropol«zu gehen. Unter dessen Glasdach, das in zwanzig Meter Höhe funkelte, hatte der junge Lenin viele flammende Reden gehalten.
Die Möglichkeit, Medienzar zu werden, eröffnete sich Orel, als die russischen Großunternehmen im Laufe des letzten Jahres begonnen hatten, ihr Eigentum auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren. Beregowski entschied sich dafür, in die Banken zu investieren, die Ölkonzerne in Kraftstoffe und er selbst in Medienunternehmen. Zur Wahl dieser neuen Strategie war er gezwungen gewesen. Seine Organisation Swerdlowsk war im Laufe der letzten zehn Jahre so groß und mächtig geworden, dass sie nun an die Grenzen ihres Wachstums stieß. Der Handel mit Waffen und Kernmaterial lief aus, weil es keine erstklassige Ware mehr gab. Die Aktivitäten auf dem Gebiet der Schutzgelderpressung im Inland waren bereits so ausgeweitet, dass keine Wachstumsmöglichkeiten mehr bestanden. Das Geschäft mit der Prostitution blühte sogar schon im Fernen Osten mit Hilfe einer Hongkonger Triade. Der Markt für den Drogenhandel war zusammen mit den Kolumbianern erweitert worden, und die Kooperation mit den amerikanischen Kollegen wurde immer enger. In die einheimischen Öl-Konzerne zu investieren lohnte sich nicht, weil Russland seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten anscheinend nicht überwand und die riesigen Ölvorräte in Sibirien und den arktischen Meeresregionen, die nur darauf warteten, ausgebeutet zu werden, nicht nutzen konnte. Und die russischen Banken wiederum waren nicht imstande, mit den westlichen Finanzinstituten zu konkurrieren.
Er konnte sein Geschäftsimperium nicht vergrößern, wenn er nicht in der Lage war, Einfluss auf die politischen Entscheidungen auszuüben. Und das gelang nur innerhalb des politischen Systems. Sein für Bestechungen verantwortlicher Direktor hatteschon den größten Teil der einflussreichsten Männer Russlands für seinen Rennstall eingespannt, aber das genügte nicht. Er musste das Volk auf seine Seite bekommen. Und das wiederum war nur möglich, indem man das Denken der Menschen über die Medien beeinflusste.
Zusätzlich zur politischen Macht wollte Orel auch die Legalisierung seiner Geschäftstätigkeit. Die Medien würden das Image der verschiedenen »Unternehmen« von Swerdlowsk Tag für Tag aufpolieren und immer wieder behaupten, dass sie eine gesellschaftlich wertvolle Arbeit leisteten. Die Tätigkeit der Organisation sollte heroisiert werden. Allmählich würde die Gesellschaft verändert, bis sie schließlich den Werten und Verhaltensmodellen von Swerdlowsk entsprach. Unter Ausnutzung der Medien und durch Bestechung würde Swerdlowsk die Moral der Gesellschaft von innen her zerstören wie Krebsgeschwüre. Zu guter Letzt würde man seiner Organisation eine hohe Wertschätzung entgegenbringen und sie legal arbeiten lassen.
Im Restaurant »Metropol« schlug Orel die Zeitung »Nowyje Iswestija« auf und knurrte verärgert. In der größten Schlagzeile wurde die russische Mafia beschuldigt, einen Bankier der Deutschen Bank ermordet zu haben. Swerdlowsk war keine Mafiaorganisation. Das Wort Mafia widerte Orel an. Es wurde in Russland lax für jede Tätigkeit verwendet, die irgendwie auf eine Verletzung der Gesetze hindeutete. Seiner Ansicht nach war Swerdlowsk nicht einmal eine kriminelle Organisation, sondern ein Geschäftsimperium, das nach seinen eigenen Regeln funktionierte, die ein großer Teil der Russen akzeptierte. Er sah nicht ein, warum der Staat die Regeln bestimmen durfte. In der Sowjetunion war das so gewesen, obwohl nur
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