Finster
muss weiter.«
»Warum kommst du nicht einfach zu mir rein?« Sie schlug die Bluse auseinander.
Alle sind verrückt!
Ich starrte auf ihre bleichen Brüste und die dunklen Nippel.
»Kommst du jetzt rein, Süßer?«
»Äh, nein, danke.«
Durch das gleichmäßige Brummen des Motors hindurch hörte ich ein leises Lachen. Aber es kam nicht von der Frau. Es kam irgendwo hinten aus dem Lieferwagen, und es klang wie das Lachen eines Mannes.
Ich glaube, ich schrie.
Ich weiß, dass ich rannte, als wäre der Teufel hinter mir her.
31
Ich rechnete damit, dass der Lieferwagen mir rückwärts hinterherjagen würde, so wie Randy es vor ein paar Nächten getan hatte. Dann würde die Frau auf die Bremse treten, die Seitentür auffliegen und der versteckte Mann herausspringen und mich zur Strecke bringen.
Aber es geschah nichts dergleichen.
Während ich zur nächsten Ecke sprintete, blickte ich zurück und sah, dass der Lieferwagen vorwärts weiterfuhr, mit geschlossenen Türen.
War das nur ein Streich?, fragte ich mich. Kleine Jungs erschrecken?
Klar.
Aus Angst, der Lieferwagen könnte zurückkommen, rannte ich über die Straße und um die Ecke und versteckte mich hinter einem Baumstamm. Ein paar Minuten vergingen.
Vielleicht sollte ich zusehen, dass ich nach Hause komme, sobald es sicher ist, dachte ich. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren.
Und das Mädchen verpassen?
Es ist nicht mal sicher, dass ich sie überhaupt finde. Und außerdem ist es das Risiko nicht wert.
Was, wenn ich in den Wagen gestiegen wäre?
Denk gar nicht darüber nach, sagte ich mir. Ich bin nicht eingestiegen, das ist das Entscheidende.
Auf der anderen Straßenseite ging ein Mann mit einer dänischen Dogge an der Leine vorbei.
Das könnte ich gebrauchen, dachte ich. Einen riesigen,
gefährlichen Hund. Der hält einem die Dämonen vom Leibe.
Der Mann und sein Hund verschwanden hinter einer Ecke, aber ich blieb in meinem Versteck. Der Lieferwagen kam nicht zurück. Es kamen auch keine anderen Fahrzeuge vorbei. Schließlich wagte ich mich hinter dem Baum hervor und ging in die Richtung, aus der ich gekommen war.
Der bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht …
Was ist eigentlich mit dieser Stadt los?
Vielleicht gibt es eine Irrenanstalt in der Nähe, die nachts ihre Türen öffnet und alle Insassen frei auf den Straßen herumlaufen lässt. Amüsiert euch gut, meine Lieblinge. Lasst mal richtig die Sau raus. Aber ihr müsst vor Sonnenaufgang zurück sein.
Nett.
Könnte man eine interessante Geschichte draus machen, dachte ich. Ein bisschen weit hergeholt vielleicht, aber das würde erklären, was hier los ist. Irgendwas stimmt mit diesem Ort nicht. Es sind ja nicht alle Städte so bei Nacht.
Vielleicht doch.
Schon bald näherte ich mich wieder der Fairmont-Street-Brücke. Wenn ich nach Hause wollte, musste ich hinüber. Ich betrachtete die leere, schlecht beleuchtete Straße, die niedrigen Steinbrüstungen und die Dunkelheit zu beiden Seiten.
Früher oder später musste ich sie überqueren. Diese Brücke oder eine andere, und niemand konnte wissen, was darunter lauerte.
Es wird nichts passieren, sagte ich mir.
In den letzten Jahren war ich Hunderte Male über solche Brücken gegangen - oft spät in der Nacht -, ohne irgendwelche Komplikationen.
Das war, ehe ich Bescheid wusste.
Wir hatten Witze gerissen über Trolle, die unter den Brücken lauerten, aber wir wussten nicht, dass dort wirklich welche hausten.
Kurz vor der Brücke blieb ich stehen. Ich wollte sie nicht noch einmal überqueren.
Abgesehen von den Ängsten, die ich mit der Brücke verband, gefiel mir der Gedanke, einen Rückzieher zu machen, überhaupt nicht. Sollte ich mein Vorhaben wirklich abblasen, nur weil ein paar Spinner in einem Lieferwagen mich zu Tode erschreckt hatten?
Wenn ich heute Nacht aufgebe, könnte es sein, dass ich sie nie wiedersehe.
Ich muss sie sehen, dachte ich. Und mit ihr reden. Und herausfinden, wie sie heißt und warum sie nachts durch die Straßen zieht und ob sie einsam ist und wie es sich anfühlt, mit ihr zusammen zu sein.
Kopfschüttelnd wandte ich der Brücke den Rücken zu und entfernte mich.
Ich war wachsam. Hin und wieder zwang mich das Auftauchen einer Person oder eines Fahrzeugs, in Deckung zu gehen. Je länger ich unterwegs war, ohne dass irgendwelche Schwierigkeiten auftauchten, desto mutiger wurde ich. Ich verbrachte weniger Zeit damit, mich zu verstecken, und mehr Zeit damit, von einer Querstraße zur nächsten
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