Finsteres Gold
meine Linien in einen Smiley: »Aber ja doch.«
Wir gehen auf das Gebäude zu. Sobald wir alle in dem kleinen Empfangsbüro stehen, erhebt sich Josie, die Fahrdienstleiterin, hinter ihrem alten, grässlichen Metallschreibtisch und lächelt uns entgegen. Ihre Rastazöpfe schwingen hin und her. »Ja wer kommt denn da. Fehlen wir legal, oder muss ich die Polizei rufen, damit sie euch zurückbringt und Geldstrafen für Schulschwänzen kassiert?«
»Legal. Wir haben einen Schein«, sagt Nick. Er wippt auf den Zehenspitzen. In ihm steckt zu viel Energie, die kein Ventil hat.
»Hätte ich mir denken können. Das System ausnutzen, was?« Josie zeigt mit dem Kopf auf die Kaffeemaschine. »Wollt ihr was trinken? Oder nur zu Betty?«
»Ich nehme Wasser«, sagt Devyn und schwingt sich mit seinen Krücken über den hässlichen Linoleumboden, der aussieht, als stamme er aus den Siebzigerjahren. Er schnappt sich einen Becher und stellt ihn unter den großen blauen Wassertank.
Josie klingelt durch und sagt: »Betty, Besuch für dich, eine ganze Truppe.«
Die Stimme meiner Großmutter kommt knisternd aus der Gegensprechanlage. »Wer ist es?«
»Zara, ihr hübscher Loverboy«, Josie zieht die Augenbrauen ein paarmal hoch, und Nick neben mir wird langsam rot, während Is sich kaputtlacht, »und Freunde.«
»Sie sollen nach hinten kommen«, ordnet Betty an.
»Danke, Josie«, sag ich und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. »Du duftest nach Kokosnuss.«
»Meine Feuchtigkeitscreme«, sagt sie. »Wie wär’s, wenn dein Loverboy mir auch einen Kuss geben würde?«
Nick tut es.
»Loverboy«, neckt Dev, als wir durch den schmalen Flur in den hinteren Raum gehen.
»Du bist ja nur neidisch«, knurrt Nick.
Wir schauen uns an. Er lächelt. Ich löse mich von Is, damit sie und Dev ein bisschen dichter nebeneinander gehen können und damit ich die Tür zu dem Pausenraum öffnen kann, wo die Rettungssanitäter sich aufhalten, wenn sie nicht im Einsatz sind. Nick kommt mir zuvor. Er zieht die Tür auf und hält sie, damit wir alle hindurchgehen können.
»Danke«, sage ich und atme im Vorbeigehen tief seinen Duft ein.
»Jederzeit.« Seine freie Hand legt sich ganz leicht auf meinen unteren Rücken. Die Berührung lässt mich schaudern. Aber es ist ein gutes Schaudern.
Er bemerkt es. »Alles in Ordnung?«
»Ja.« Ich lege den Kopf schräg und schaue ihn an.
Is und Dev sind bereits reingegangen. Nick nimmt mich am Arm und zieht mich zurück auf den Flur. Wir sind allein. »Vor mir musst du nicht die Mutige spielen, Zara«, flüstert er, »das ist doch der Sinn einer Beziehung, oder? Man erzählt sich bestimmte Dinge. Man lässt den anderen Dinge sehen, die man sonst keinen auf der Welt sehen lässt.«
Ich muss schlucken. »Ich möchte einfach nicht … Ich möchte einfach nicht, dass du dir Sorgen machst. Es tut mir leid, dass ich mit meinem Vater weggefahren bin.«
Er legt seine Hand an meine Wange. Sein Daumen berührt meine Haut, ganz langsam und leicht, aber trotzdem voller Kraft. »Ich weiß doch. Und mir tut es leid, dass ich immer den Macho raushänge.«
Ich presse die Lippen zusammen.
Er nickt schnell und heftig, als ob er versuchen würde, starke Gefühle zu unterdrücken. »Komm, lass uns reingehen, damit Betty dich anschauen kann.«
Das hässliche gelbe Licht in dem Raum lässt Betty und Mike, den anderen diensthabenden Rettungssanitäter, aussehen, als wären sie leberkrank. Mike sitzt auf dem ramponierten braunen Sofa und schaut CNN. Gedankenverloren zupft er an den Rändern des Klebebands herum, das um die Armlehne gewickelt ist, damit sie nicht auseinanderfällt. Auf dem Tisch zur Linken steht eine Packung Dunkin’ Donuts. Betty geht ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. Sie läuft mit einem Exemplar des Economist vor sich ausgebreitet auf dem Laufband. Früher hat sie ein Versicherungsunternehmen geleitet. Sie ist in den Ruhestand gegangen, bevor das Unternehmen achthundert Millionen Dollar im Jahr machte, leider, denn wenn sie immer noch CEO wäre, dann hätte ich bestimmt schon wieder ein neues Auto und einen neuen Laptop.
»Na, Devyn! Dich wieder gehen zu sehen. Das ist eine Wohltat für schmerzende Augen.« Ihre grauen Haare wippen bei jedem kräftigen Schritt, und sie lächelt uns an. »Noch dreißig Sekunden, dann hab ich fünfhundert Kalorien verbraucht. Ihr solltet meinen Puls sehen.«
»Gleichmäßig?«
»Wie ein Uhrwerk.« Lächelnd drückt sie auf einen Knopf. Die Neigung des Laufbands wird geringer.
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