Finsternis über Gan (German Edition)
steuerten auf Änosch zu.
Nach kurzer Zeit konnten sie durch den Wald schon die ersten Häuser des Dorfes erkennen. Plötzlich blieb das Einhorn stehen: »Still!«
Die Gefährten begriffen die Warnung und blieben reglos stehen.
Das Einhorn schnaubte und raunte den Amulettträgern zu: »Im Dorf sind die Soldaten des Königs, die wir heute Mittag gesehen haben.«
»Was wollen die denn hier?«, fragte Pendo leise.
»Sie hoffen natürlich, uns hier zu finden«, mutmaßte Finn. »Ist doch sonnenklar. Immerhin hat Davina uns zum König geführt.«
»Ganz recht«, sagte das Einhorn. »Lasst uns ein sicheres Plätzchen suchen, dann überlegen wir weiter.«
So leise wie möglich eilten die fünf mit den Pferden zu einigen Tannen, hinter denen sie sich versteckten. Sie hatten einen guten Blick auf das Dorf, ohne selbst gesehen zu werden.
»Schaut euch das mal an«, sagte Chika mit zitternder Stimme. »Die durchsuchen alle Häuser. Die Dorfbewohner sind ganz aufgeregt. Sie schreien und rufen. Die wissen gar nicht, wie ihnen geschieht.«
»So etwas gab es noch nie in Gan! Das würde der König niemals zulassen. Da muss jemand anderes dahinterstecken.« Das Einhorn war erschüttert.
Die Jungen und Mädchen sahen, wie silberne Tränen über sein glänzendes Fell flossen. Jetzt war es auch um sie geschehen. Chika drückte ihr Gesicht in die Mähne des Einhorns. Pendo und die Jungen flüsterten aufgeregt durcheinander: »Wir müssen etwas tun.« – »Wir können das doch nicht zulassen …«
»Haltet ein, meine lieben Fohlen.« Überrascht schauten die vier zu Nathanus. Er schien sich wieder gefasst zu haben. So hatte er sie noch nie angeredet. Sie spürten, wie sehr er sie mochte und ihr aufrichtiges Mitgefühl schätzte. »Es ist schwer, mit anschauen zu müssen, wie die Soldaten die Menschen dort unten verängstigen, aber es wäre ein riesiger Fehler, ins Dorf zu gehen. Unser Auftrag ist wichtiger. Wir müssen so schnell wie möglich in den Zauberwald.«
»Aber wir können doch nicht einfach weiterreiten.« Joe wollte nicht glauben, was Nathanus da sagte.
»Doch, das müssen wir«, beharrte das Einhorn. »Keiner der Leute dort unten möchte euch in den Händen der Soldaten sehen.«
Die Jungen und Mädchen hatten gehofft, durch ihren Status als Träger der Amulette den Dorfbewohnern helfen zu können, aber sie mussten einsehen, dass Nathanus recht hatte.
Zögerlich nahmen sie die Zügel ihrer Pferde in die Hand und liefen, bedrückt von dem Gefühl der Machtlosigkeit, hinter dem Einhorn her. Sie waren erschöpft, wollten auf keinem Pferd mehr sitzen und auch nicht mehr laufen. Alles, wonach sie sich sehnten, war ein gemütliches Bett. Aber dieser Traum war soeben wie eine Seifenblase zerplatzt. So kämpften sie sich weiter durch dichtes Gebüsch, immer Richtung Zauberwald.
Die vier hingen gerade ihren trübsinnigen Gedanken nach, als sie plötzlich ein lautes Quietschen hörten. Erschrocken sahen sie nach vorne zu Nathanus, von dem das Geräusch zu kommen schien. Der aber war genauso verdutzt wie die Jungen und Mädchen. Ein kleiner Vogel, leuchtend orange wie ein glühendes Stück Kohle, sauste außer Rand und Band um den Kopf des Einhorns herum und kreischte unaufhörlich.
»Ist ja gut«, versuchte das Einhorn den kleinen Schreihals zu beruhigen. »Ich kann mir denken, was du hast. Zeige uns den besseren Weg.«
Der Vogel flog nun Richtung Westen und forderte die Gruppe durch ständiges Hin- und Herfliegen auf, sich zu beeilen. Nathanus und die Gefährten mit ihren Pferden an den Zügeln stapften durch tiefes Laub und Geäst, das den Boden bedeckte, hinter ihm her. Nach etwa fünfzig Metern kamen sie zu einer kleinen Senke. Unten angekommen entdeckten sie einen durch Büsche gut versteckten Höhleneingang. Der Vogel flog hinein und sie folgten ihm.
»Wow! Das ist ja eine richtig große Höhle!«, rief Pendo beeindruckt.
»Und was sollen wir jetzt hier?«, fragte Finn, wobei er sich nicht sicher war, ob er den Vogel oder das Einhorn fragte.
Der Vogel flog kurz aus der Höhle raus, kam aber nach wenigen Sekunden zurück, setzte sich auf Chikas Schulter und war still.
Einige Minuten tat sich nichts. Pendo, Chika, Finn und Joe wagten nicht, sich zu rühren, da auch Nathanus keinen Mucks machte. Schließlich flüsterte das Einhorn Joe zu: »Zieh deine Kapuze über, damit dein Umhang die Farbe des Waldes annimmt, und dann schau nach, wovor unser kleiner Freund uns gewarnt hat.«
Leise, wie es nur ein
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