Fire after Dark - Tiefes Begehren: Roman (German Edition)
Wasser. Vor uns breitet sich das Festland aus, der Balkan: erst Kroatien, dahinter Serbien und Bosnien. Bislang waren das nur Namen für mich, aber jetzt nähern wir uns der greifbaren Realität – Städte, Hügel, Wälder, Berge und Straßen.
»Das ist Split«, verkündet der Pilot. Seine Stimme klingt in den Kopfhörern blechern.
Unter uns liegt eine herrliche, goldene Stadt rund um einen Hafen, greift weit in das Meer hinein.
»Wir sind fast da«, höre ich Mark.
»Ja.« Das ist Dubrovski. Über Kopfhörer klingt er noch rauer als sonst. Ich sitze direkt hinter ihm und kann seinen Hinterkopf sehen und das feine Leinen des dunkelblauen Jacketts, das er trägt. Er hat mich seit den ersten Schritten über den Rasen zum Hubschrauberlandeplatz völlig ignoriert. Nicht, dass ich mich beschwere. Er wirkt heute gesetzt und ernst, seinem Gesichtsausdruck nach scheint er schlechte Laune zu haben. Ich kann mir nur vorstellen, wie es sein könnte, wenn sich all diese Energie in etwas Grausames verwandelt. »Das Kloster liegt in den Bergen. Wir sind gleich dort.«
Das Licht blendet durch die Frontscheibe, und die Stadt unter uns glitzert. Das herbstliche Sonnenlicht wird von den hellen Steinen reflektiert. Mark zeigt auf eine ausgedehnte Ruine unter uns und sagt: »Der Palast des römischen Kaisers Diokletian. Die Stadt Split wurde vor Jahrhunderten um den Palast herum errichtet.«
Ich bin atemlos angesichts des überwältigenden Anblicks und der herrlichen antiken Steine. Es gibt so viel zu sehen in der Welt. Während wir über Split hinwegfliegen, erfüllt mich zunehmend die Entschlossenheit, meine Schwingen auszubreiten und so viele Erfahrungen zu sammeln, wie ich nur kann. Das Leben hat mir diese einmalige Gelegenheit geboten, und ich will das Beste herausholen. Nach wenigen Minuten nähern wir uns einer felsigen Bergkuppe, die sich aus dem dunkelgrünen Wald erhebt. Der Gipfel wird von einem beeindruckenden Steingebäude beherrscht, einer Mischung aus Kirche und Burg. Es sieht aus, als wachse es aus dem felsigen Hügel heraus.
Wie um alles in der Welt sollen wir dort landen? Zwischen diesen Mauern ist doch überhaupt kein Platz.
Wir steigen höher, über die Zinnen der Klosterburg, und mir wird klar, dass wir auf einem der vier Türme landen werden, die die Eckpfeiler des Klosters bilden. Sie haben flache Dächer, und jemand hat auf einem davon mit weißer Farbe ein Kreuz aufgemalt – ein Landeplatz –, aber ich kann immer noch kaum glauben, dass unser Hubschrauber in dem schmalen Spalt zwischen den Festungsmauern Platz finden soll. Ich halte den Atem an, als der Pilot zur Landung ansetzt, erst hoch über dem Dach des Turmes schwebt und dann langsam sinkt, die Schnauze anfangs nach vorn geneigt, dann geradeaus gerichtet. Was, wenn die Rotorblätter an die Zinnen stoßen, denke ich, und meine bereits, das atonale Quietschen zu hören, wie sie über die Mauern schrammen. Aber wir setzen sicher auf dem Landeplatz auf.
Sicher? Wir stehen auf der Turmspitze eines Kloster auf einem Berggipfel.
Bei diesem Gedanken möchte ich am liebsten laut lachen, so verrückt klingt es. Hier zu sein, ist belebend und gleichzeitig ein wenig einschüchternd. Die anderen lösen ihre Sitzgurte und hängen ihre Kopfhörer an die dafür vorgesehenen Haken, also tue ich das auch. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen Mann in einem schwarzen Habit, der aus einer Tür im Turm auftaucht. Jetzt, da wir die Kopfhörer abgelegt haben, können wir auch leise miteinander reden. Mark wendet sich mir lächelnd zu. »Geht es Ihnen gut? Wie hat es Ihnen gefallen?«
»Es war phantastisch«, sage ich und erwidere sein Lächeln.
»Gut. Und jetzt an die Arbeit.« Ein Anflug von Sorge zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. »Dubrovski ist sehr schlecht gelaunt. Ich habe keine Ahnung, warum. Das wird es nicht gerade leichter machen. Hier oben kann er seine Launen nirgends auslassen, nur an seinen Reisegefährten. Aber wenn wir ruhig und konzentriert bleiben, sollte alles gutgehen.«
»Nach Ihrer Beschreibung klingt er beängstigend«, sage ich, besorgt angesichts Marks sichtlicher Angespanntheit. »Haben Sie je miterlebt, dass er die Haltung verloren hat?«
Mark wirkt peinlich berührt und schaut nach draußen, wo Dubrovski bereits die Hand des Mannes im schwarzen Habit schüttelt. Der starke Wind zerzaust seine Haare. »Kommen Sie«, sagt er, ohne meine Frage zu beantworten. »Wir sollten uns jetzt beeilen.«
Draußen müssen wir gegen den Wind
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