Fire - Thriller
hatte er Angst, oder er war ein kleiner Schauspieler oder beides.
Sampson war hinter ihr ins Zimmer gekommen. Keiner von beiden zog eine Waffe, obwohl sie dem Jungen keine Sekunde lang über den Weg trauten.
Bree hielt allerdings ihre Hand an der Waffe.
»Sag mir, was du darüber weißt«, verlangte sie.
Sie und Sampson näherten sich dem Fenster jeweils von rechts und links. Bree war als Erste dort. Sie musste sich etwas ducken, weil die Dachgaube zu niedrig war.
Von dort aus sah sie, dass der Junge an der Rückseite des Hauses auf einem gemauerten Vorsprung stand.
Darunter befand sich das Dach der Veranda, und drei Meter unter Bree erstreckte sich ein kleiner Garten, der wie alle anderen Gärten auch im November trostlos wirkte.
»Nicht weiter«, warnte der Junge, »oder ich renne weg. Ich kann sehr schnell rennen. Ihr werdet mich nie kriegen.«
»Okay. Aber lass mich das Fenster ein Stück aufmachen.«
Das alte Schiebefenster benötigte etwas Zuspruch, doch schließlich konnte Bree es etwa fünfzehn Zentimeter nach oben schieben.
»Was machst du hier draußen?«, begann sie.
»Ich weiß, was passiert ist. Sie haben das Mädchen und den Jungen genau in dem Zimmer hier getötet. Die Eltern unten im Wohnzimmer.«
Er hatte einen afrikanischen Akzent. Er war Nigerianer, vermutete Bree.
»Woher weißt du das?«, fragte sie weiter. »Warum sollte ich dir glauben?«
»Ich bin der Schmieresteher, aber bald soll ich mit den anderen mitgehen, um andere Leute zu töten.« Er blickte an Bree und Sampson vorbei ins Zimmer. »Ich will das nicht tun. Bitte – ich bin Katholik.«
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte Bree ihn. »Du brauchst niemandem wehzutun. Ich bin auch katholisch. Warum kommst du nicht da nicht runter, dann können wir …«
»Nein!« Er hob wieder eine Hand und drohte, nach unten zu springen und fortzulaufen. »Versuchen Sie keine Tricks mit mir.«
»Okay, okay.« Bree hielt beschwichtigend ihre Hände nach oben. Dann kniete sie nieder, um dem Jungen ein Stück näher zu kommen. »Rede einfach mit mir. Erzähl mir mehr. Wie heißt du?«
»Benjamin.«
»Benjamin, weißt du etwas von einem Mann, den man den Tiger nennt? War er hier?« Alex hatte ihr während des Telefongesprächs vom Tiger erzählt. Angeblich hielt er sich jetzt in Afrika auf, doch vielleicht stimmte Alex’ Information nicht.
Der Junge nickte langsam. »Ich kenne ihn, ja. Aber mehr als einen. Nicht nur einen Tiger.«
Diese Aussage traf Bree wie ein Schlag ins Gesicht – und sie vermutete, auch Alex wäre mächtig überrascht.
»Mehrere Männer werden Tiger genannt?«, fragte sie nach. »Bist du dir sicher?«
Wieder nickte der Junge.
»Hier in Washington?«
»Ja. Vielleicht zwei oder drei.«
»Und in Nigeria?«
»Ja.«
»Wie viele Tiger, Benjamin? Weißt du das?«
»Das sagen sie mir nicht, aber es sind viele. Bandenführer sind immer Tiger.«
Bree blickte über ihre Schulter zu Sampson, dann wieder zum Jungen. »Benjamin, willst du ein Geheimnis wissen?«
Die Frage schien ihn zu verwirren. Sein Blick wanderte von einer Seite zur anderen, dann nach unten, um seinen Fluchtweg zu überprüfen.
Als er das tat, schnellte Bree nach vorne. Viel schneller, als sich Benjamin vorgestellt hatte.
66
Sie griff zwischen die Gitterstäbe und packte das dürre Handge lenk des Jungen.
»Sampson, lauf!«
»Lass mich los!«, schrie der Junge.
Als er versuchte abzuhauen, wurde ihr Arm gegen die Stange gezerrt. Aus ihrer Position heraus konnte sie nicht genügend Kraft aufbringen, sondern nur den Schmerz ignorieren und den Jungen festhalten, bis Sampson ihn sich von unten schnappen würde. Beeil dich, John, sonst geht er mir durch die Lappen .
»Benjamin, wir können dich in Sicherheit bringen. Du musst mit uns kommen.«
»Nein, du dreckige Nutte!«, schrie er sie an. »Du hast mich angelogen.«
Seine Verwandlung war überraschend. In den zuvor verängstigten Augen zeigte sich Wut, und er kratzte ihre Hand blutig. Hatte er sie angelogen? War er einer der Mörder?
Endlich hörte Bree irgendwo draußen Sampsons stampfende Schritte.
In dem Moment, als sie dachte, ihr Arm würde brechen, schaffte es der Junge, sich zu befreien. Er ließ sich aufs Verandadach fallen und sprang von dort in den Garten.
Zwei rasche Schritte, dann krabbelte er auf eine kleine Mülltonne, die kaum sein Gewicht tragen konnte, geschweige denn das eines Erwachsenen.
Gerade als Sampson um die Ecke rannte, schwang sich der Junge seitlich über einen
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