Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
Arbeitsflächen und supermoderner Haushaltsgeräte holt Will mich ein. Als wir durch eine Schiebetür auf die Terrasse hinaustreten, spüre ich deutlich Wills Beklommenheit. Mehrere Gesichter wenden sich uns zu und starren uns an. Niemand sagt auch nur ein Wort.
Mr Rutledge deutet auf mich, während er gerade die Klappe des Räucherofens öffnet. »Mal alle hergehört, das hier ist –«
»Jacinda«, fällt ihm Xander ins Wort und erhebt sich aus einem schmiedeeisernen Stuhl, in der Hand eine beschlagene Flasche Limonade. »Will, ich wusste ja gar nicht, dass du jemanden eingeladen hast.«
Angus schaufelt sich eine Portion Kartoffelchips in den Mund, direkt aus der Tüte, und denkt gar nicht daran, aufzustehen oder etwas zu sagen. Mit seinem typisch aggressiven Blick beobachtet er die Szene.
»Hab ich wohl vergessen zu erwähnen.« Will bringt mich zu einem der Verandatische und stellt mich den anderen vor: Xanders Eltern, einer Reihe von Onkeln und Tanten und noch mehr Cousins und Cousinen. Sie alle sind Jäger, wie mir klar wird, zumindest alle über dreizehn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Kleinkind, das Saft aus einem Tetrapak schlürft, oder der Siebenjährige auf der Schaukel mit auf die Jagd gehen. Noch nicht.
Sie alle heißen mich willkommen und mustern mich mit derselben Intensität wie zuvor Wills Vater. Während wir essen, prasseln Fragen auf mich ein: Wo wohnst du? Wo habt ihr vorher gelebt? Was arbeiten deine Eltern? Hast du noch Geschwister? Machst du irgendeinen Sport? Ich fühle mich wie bei einem Interview. Mr Rutledge scheint es vor allem zu interessieren, dass ich renne. Zum Beispiel die vollen sieben Meilen bis zu ihrem Haus.
»Und sie ist schnell«, erklärt Will mit finsterer Miene, als wüsste er zwar, dass Small Talk erwartet wird, er aber eigentlich keine Lust darauf hat.
»Tatsächlich?« Mr Rutledge hebt die Augenbrauen. »Für Langstreckenlauf braucht man ganz schön Ausdauer. Ich war schon immer beeindruckt, wenn jemand ein solches Durchhaltevermögen besitzt.«
Während der Unterhaltung lässt mich Xander, der selbst schweigt, keine Sekunde lang aus den Augen. Nur Will, der neben mir sitzt, beruhigt mich – er und die Luftbefeuchter, die die Terrasse mit Sprühnebel besprenkeln. Dankbar saugt meine Haut die Feuchtigkeit auf.
Als wir fertig sind mit dem Hauptgang, stehen Wills Tanten auf, um den Nachtisch aus der Küche zu holen. Ich sehe meine Chance gekommen und springe auf, um zu helfen. In der Küche behaupte ich, dass ich mal auf die Toilette müsste, und schlüpfe schnell in den Flur.
Vom Haupteingang aus gehe ich die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Lautlos husche ich in meinen Turnschuhen über den roten Teppich, während ich eine Tür nach der anderen öffne und kurz den Kopf hineinstecke, bis ich Wills Zimmer gefunden habe.
Selbst wenn ich nicht spüren würde, dass dieses Zimmer mit den Holzpaneelen an der Wand seins ist, wüsste ich es, weil ihm so ganz die kalte Präzision des übrigen Hauses fehlt. Das Bett ist ordentlich gemacht, aber alles sieht bewohnt und gemütlich aus: Auf einem Nachttischchen türmen sich zahlreiche Bücher und Comichefte. Auf dem Schreibtisch liegt Wills aufgeschlagenes Schulbuch über Literatur, daneben ein halb fertiger Aufsatz. Dort steht auch das gerahmte Bild einer Frau mit Wills goldbraunem Haar, und als ich in das strahlende Gesicht blicke, besteht für mich kein Zweifel, dass es sich um seine Mutter handelt.
Nachdem ich mich von dem Foto losgerissen habe, öffne ich den Kleiderschrank und finde sofort den Wäschekorb unter den Klamotten, die von der Kleiderstange hängen. Als ich eine Weile darin herumgewühlt habe, ziehe ich mit einem Seufzer der Erleichterung das blutverschmierte T-Shirt heraus. Mit zitternden Fingern halte ich es fest, während ich schnell die Schranktür wieder schließe. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Was mache ich denn nun damit?
Als ich vorsichtig in den Gang hinausspähe, kommt mir die Idee, das T-Shirt irgendwo im Freien zu verstecken – vielleicht hinter einem Busch neben der Auffahrt, wo ich es später wieder abholen kann, wenn ich mich erst einmal aus dieser verzwickten Lage befreit habe. Als ich eilig den Flur hinuntertapse, nimmt dieser Plan in meinem Kopf immer klarere Formen an und ich bin ziemlich zufrieden damit, auch wenn ich noch immer auf der Hut bin. Das T-Shirt zu finden war fast schon zu einfach.
Plötzlich höre ich ein Geräusch. Schritte, die die Treppe
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