Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
schon viel früher sehen müssen. Und vielleicht habe ich das sogar getan, vielleicht war die Vermutung immer schon da – ich habe es nur nicht wahrhaben wollen. Doch jetzt, mit dieser Karte vor Augen, kann ich es nicht länger ignorieren. Immerhin besteht kein Zweifel daran, dass Wills Familie in unserem Gebiet wildert, das habe ich am eigenen Leib zu spüren bekommen.
Wieder fangen meine Augen zu tränen an und schnell blinzle ich ein paarmal. Ich kann das einfach nicht glauben.
Dad hat mich immer verstanden, hat verstanden, dass ich fliegen muss, denn er hat genauso gefühlt. Er hätte nie von mir erwartet, meinen Draki zu unterdrücken. Ich will nicht glauben, dass Will mit dafür verantwortlich sein könnte, dass er starb. Dad, der Einzige, der mich so geliebt hat, wie ich bin.
Heftig schüttle ich den Kopf. Bestimmt war er damals noch viel zu jung, um mit seinem Vater auf die Jagd zu gehen. Das sagt mir mein Bauchgefühl – er ist anders als die anderen. Will hat mich nicht verraten. Unmöglich kann er meinen Vater getötet haben.
Doch seine Familie hätte keine Skrupel gehabt. Und sie sitzen alle nur einen Katzensprung entfernt.
Ich bücke mich nach dem T-Shirt, hebe es auf und will den Raum verlassen, aus diesem Haus entkommen, bevor es zu spät ist. Bevor ich nicht mehr wegkann. Aber es gelingt mir nicht, mich von dieser Wand zu lösen – ähnlich wie bei einem schlimmen Autounfall kann ich einfach nicht den Blick abwenden.
Erst das Klicken der Tür, die hinter mir ins Schloss fällt, weckt mich aus meiner Schreckensstarre.
15
I ch bemühe mich, nicht die Nerven zu verlieren, als ich mich umdrehe und Xander erblicke. Mit der Kraft der Verzweiflung unterdrücke ich meine Angst und versuche zu vergessen, wo er mich gerade gefunden hat – in einem Zimmer, das mit der Haut meiner Artgenossen tapeziert ist.
»Was machst du hier?«, will er wissen.
»Ich hab das Badezimmer gesucht.« Ich blinzle die Tränen fort und atme sacht durch die Nase, um die Hitze zu kühlen, die sich in meinem Rachen ausbreiten will.
»Gleich neben der Küche ist eins.« Er legt den Kopf schief und studiert mich mit dunkel glitzernden Augen. »Warum also bist du nach oben gegangen?« Er blickt sich im Zimmer um, betrachtet die Landkarte und dann wieder mich, mit durchdringender Intensität. »Warum schnüffelst du hier herum?«
»Ich schnüffle nicht«, widerspreche ich und schlucke das Feuer hinunter, das meine Kehle hinaufklettert.
Er deutet auf Wills Hemd. »Was hast du da?«
Automatisch umklammere ich den zusammengeknüllten Stoff fester. »Nichts weiter, nur ein T-Shirt.«
»Gehört das Will? Was willst du damit?« Er kneift die Augen zusammen und die Lider über seinen dunklen Pupillen wirken auf einmal schwer und voller Misstrauen. »Erzähl mir nicht, du gehörst zu den Mädchen, die sich eine Locke von ihrem Liebsten unters Kopfkissen legen. So jämmerlich bist du mir nicht vorgekommen.«
Unsere Blicke treffen sich. Ich stehe still, wie zu Stein erstarrt. Erst als er nach dem T-Shirt greift, weiche ich hastig einen Schritt zurück. Mir ist klar, dass das eine etwas heftige Reaktion ist, aber ich kann nicht anders.
Auf keinen Fall darf dieses T-Shirt in seine Hände fallen.
Er folgt mir, rückt mir auf die Pelle. »Was treibst du für Spielchen? Warum bist du wirklich hier?«
Ich rücke von ihm fort. »Wegen Will, ich mag ihn. Das ist alles. Was sollte ich denn sonst hier wollen?« Nachdem meine Wut inzwischen größer ist als meine Angst, macht es mir nun doch nichts mehr aus, ihn zu berühren. Mit ausgestreckter Hand schubse ich ihn ein Stück zurück. »Lass mich in Ruhe!«
Doch er ignoriert mich, kommt noch ein Stück näher. »Mir scheint, er mag dich auch. Und das ist echt mal was Neues.« Völlig unverschämt lässt er seine Blicke über mich wandern, lässt nichts aus. »Dabei frage ich mich, was so besonders an dir sein soll.«
Plötzlich stoße ich rückwärts gegen den Schreibtisch und greife Halt suchend nach der Kante. Die Berührung löst abermals die Erinnerung an diese brutalen Verbrechen in mir aus. Entsetzt zucke ich zurück, als hätte ich mir die Finger verbrannt, um meinen Körper außer Reichweite des mit Onyxhaut bezogenen Tisches zu bringen.
Xander, dem meine Reaktion nicht entgangen ist, lächelt finster. »Ein Prachtstück, nicht wahr?« Als er die Hand ausstreckt, um über die Tischoberfläche zu streicheln, streift sein Arm meinen.
Augenblicklich verkrampft sich mein Magen.
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