Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
heraufstapfen.
Panik wallt in mir auf. In Windeseile husche ich in das nächstbeste Zimmer und schließe leise die Tür hinter mir. Die Klinke fest umklammert, lausche ich angestrengt nach der kleinsten Bewegung auf der anderen Seite. Um mich aus dem brennenden Griff der Angst zu lösen, schnappe ich ein paarmal nach Luft und konzentriere mich darauf, meine Lungen abzukühlen. Es könnte mir nichts Schlimmeres passieren, als mich ausgerechnet jetzt zu verwandeln.
Mein Blick bohrt sich in die Tür, als könne ich so auf den Flur dahinter sehen. Schließlich lasse ich die Klinke los und trete einen Schritt zurück, dann noch einen, während ich die Tür keinen Augenblick lang aus den Augen lasse.
Ich wage es noch nicht einmal zu blinzeln. Ich wringe das T-Shirt in meinen Händen, wie um es zu erwürgen – als könne ich es so verschwinden lassen. Wenn ich mich verwandeln und es zu Asche verbrennen könnte, ohne den Feueralarm auszulösen, würde ich es tun.
Die Minuten vergehen und noch immer kommt keiner. Allmählich lässt die Anspannung in mir nach. Wesentlich ruhiger atmend, blicke ich mich in dem Zimmer um, in dem ich mich verstecke.
Und fange fast an zu schreien.
Drakihaut starrt mir entgegen. Überall.
Der Schreibtisch, die Lampenschirme, die Möbel – alles ist mit der Haut meiner Brüder und Schwestern bezogen. Mir wird schlecht.
Meine Knie werden weich. Taumelnd greife ich nach einem Stuhl, um mich darauf zu stützen, als ein sengender Schmerz meine Hand durchfährt und ich sie sofort wieder wegziehe. Ich lasse das T-Shirt fallen und stiere gebannt vor Schrecken die glänzende schwarze Polsterung an, die ich berührt habe: Onyxhaut, die mit ihren schillernden violetten Schattierungen grässlich vertraut wirkt. Das Gesicht meines Vaters schießt mir durch den Kopf. Könnte es sein …
Nein! Mir wird übel vor Wut. Ich schlage mir beide Hände vor den Mund und grabe die Finger in meine Wangen, um einen Schrei zu unterdrücken. Erst als meine Augen zu brennen anfangen, wird mir bewusst, dass ich weine. Eine ganze Flut von Tränen rinnt mir über die Hände.
Trotzdem blicke ich mich noch immer um, verbeiße mir einen weiteren Schrei beim Anblick der Sofakissen, die in die dunkle Bronzehaut eines Erddrakis gehüllt sind – die zweithäufigste Art meiner Gattung, die mit Leichtigkeit Edelsteine, essbare Wurzeln und Trinkwasser aufspüren kann und alles andere, das irgendwie in Verbindung mit dem Erdreich steht. Ihre sterblichen Überreste hier zu finden, in diesem Haus, in dieser Wüste, so weit entfernt von der Erde, die sie lieben, erschüttert mich.
Ich wende mich ab, weil ich die grausamen Beweise für die Ermordung meiner Artgenossen nicht länger ertragen kann.
In dem Moment fällt mein Blick auf eine riesige Landkarte von Nordamerika. Schwarze, grüne und rote Fähnchen sind darauf verteilt. Hier und da stehen sie in Grüppchen, vor allem in bergigen Gebieten, die für Drakis den idealen Lebensraum bieten. Als mir die Bedeutung dessen bewusst wird, laufen mir wieder die Tränen übers Gesicht. Ich wische sie weg und trete näher, während meine Augen sich an all diesen schwarzen Flaggen regelrecht festsaugen. Es sind so viele.
Auf der ganzen Karte gibt es nur zwei rote Fähnchen, die dafür größer sind als die übrigen. Sie stehen völlig alleine da, keine der schwarzen oder grünen Flaggen sind in ihrer Nähe. Eine steckt in Kanada, die andere in Washington.
Sind es Jagdgebiete?
Todeszonen?
Fieberhaft huschen meine Blicke über die Landkarte, suchen das Kaskadengebirge und die kleine Ecke, wo ich mein gesamtes früheres Leben verbracht habe. Und auch dort stecken zwei Fähnchen, ein grünes und ein schwarzes. Vor Grauen knete ich meine Hände so lange, bis ich meine Finger nicht mehr spüre.
Die grüne Flagge steckt in der Region um mein altes Zuhause und daneben wirft die schwarze Flagge ihren Schatten.
Eine einzelne schwarze Fahne!
Automatisch denke ich an Dad. Seit zwei Generationen ist er der einzige Draki aus unserem Rudel, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Ich starre die kleine schwarze Flagge an, bis meine Augen zu brennen anfangen. Eine finstere, grässliche Gewissheit breitet sich in mir aus: Diese Fahne markiert einen Mord.
Mir kommt ein furchtbarer Verdacht, der mir die Luft abschnürt. Könnte es sein, dass Will zu der Gruppe gehört, die meinen Vater getötet hat?
Mein Rudel lebt nur wenige Hundert Meilen nördlich von hier. Diese Möglichkeit hätte ich
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