First Night - Der Vertrag (German Edition)
Liebespaar, das im Park spazieren geht. In der anderen Hand trug er den großen Blumenstrauß und Brockmann schlenderte ein paar Schritte hinterher.
Erst als sie in der großen , hohen Empfangshalle angekommen waren und Thomas einen livrierten Pförtner fragte, ob seine Mutter in ihrer Wohnung sei oder wo er sie sonst finden könne, begriff Julia, dass das Schloss nicht ausschließlich von der Familie Mahler bewohnt wurde, sondern dass es sich um eine Seniorenresidenz handelte.
„Ihr Bruder ist vor wenigen Minuten gegangen, Herr Mahler“, informierte ihn der eloquente Pförtner. „Ihre Frau Mutter ist in ihrer Wo hnung.“
Aus irgendeinem albernen Grund beruhigte sich Julia ein klein wenig. Eine Frau, die in einer Luxuswohnung in einer Seniorenresidenz lebte, war nun mal nicht halb so beängstigend wie eine Dame, die ein ganzes Schloss für sich alleine bewohnte.
Sie wusste natürlich nicht, dass der Unterschied nur marginal war, weil die ganze Anlage trotzdem Thomas Mahler gehörte, auch wenn andere Leute mit in dem Schloss wohnten. Er hatte es gekauft, nachdem sein Vater gestorben war, und es zur exklusivsten Seniorenresidenz weit und breit umbauen lassen. Seine Mutter hätte sich alleine in diesem Schloss zu Tode gelangweilt, aber im Kreise von anderen gediegenen Leuten ihres Alters fühlte sie sich pudelwohl und jeden Tag hatte sie irgendeinen anderen Tingeltangel mit ihren Freundinnen und Freunden. Es grenzte an ein Wunder, dass sie am heutigen Tag nicht irgendwo herumscharwenzelte oder in der Orangerie saß, die zum Restaurant umgebaut worden war, und mit ihrer Rentnertruppe feierte. Sie fuhren mit dem Aufzug in die oberste Etage des Ostflügels, in dem die große und luxuriöse Wohnung seiner Mutter lag.
Nachdem Thomas geklingelt hatte, öffnete kein Butler und auch kein St ubenmädchen, sondern eine sehr sympathisch aussehende kleine Frau mit schneeweißem, kurzem und akkurat frisiertem Haar die Tür. Sie war schlank und zierlich und sportiv gekleidet und wirkte fast so, als wäre sie gerade eben von ihrer Segelyacht heruntergestiegen.
„Ach, mein Junge!“, rief sie ehrlich erfreut und drückte Thomas an sich. Das war der Moment, als er endlich Julias Hand loslassen musste, damit er seine Mutter angemessen umarmen konnte. Dann murmelte er irgendetwas von Glückwünschen und überreichte das Bouquet. Die besagte Mutter nahm auch Brockmann an ihre Brust und sagte:
„Eric! Wann lässt du dir endlich wieder deine Haare wachsen?“
„Vielleicht bald, Frau Mahler, und herzlichen Glückwunsch! Sie sehen toll aus“, antwortete Brockmann und überreichte ihr eine Schachtel Pralinen.
Leider blieb es nicht aus, dass jetzt die mütterlichen grauen Augen auf Julia fielen und leider blieb es nicht aus, dass Julia den Blick senkte und rot wurde bis zu den Haarspitzen. Sie sagte kaum hörbar „Herzlichen Glückwunsch!“ und weil sie leider kein Geschenk dabeihatte, war ihr das alles noch viel peinlicher, als es ihr sowieso schon war.
„Das ist Julia!“, sagte Thomas nur und die Mutter sagte „Aha!“ und Julia wünschte sich sehnlichst eine Schaufel, um sich das Loch zu graben, in das sie hineinspringen konnte.
„Kommt rein!“, sagte Frau Mahler und zeigte mit dem Kopf auf den riesengroßen Flur, der ungefähr doppelt so groß war wie Julias gesamte Wohnung.
Von drinnen kam fröhliches Gelächter und Geschnatter und es wurde offensichtlich schon ausgiebig gefeiert. Julia holte tief Luft und spürte, wie sie innerlich zitterte. Pacta sunt servanda sagte sie sich, aber als Thomas ihre Hand ergreifen wollte, um sie in den Raum zu führen, aus dem die lustige Stimmung kam, zog Julia ihre Hand weg und steckte sie in ihre Hosentasche.
Sie kamen in ein helles und großes Wohnzimmer, das mit seiner prachtvollen spätbarocken Möblierung zeitlich genau zu der Entstehungszeit des Schlosses passte. In dem Raum waren viele ältere Leute. Offe nbar waren sie alle Mitbewohner der Mahler-Residenz und Freunde von Frau Mahler. Sie hatten viel Spaß und die ungezwungene Stimmung war immerhin so ansteckend, dass Julia dann doch irgendwann wieder anfing zu atmen.
Einige der Anwesenden schienen Thomas und Brockmann zu kennen und riefen Begrüßungen in ihre Richtung, ohne sich aber von ihrem Spaß, was auch immer sie gerade trieben, abbringen zu lassen. Thomas’ Besuch war offenbar nicht so wichtig für sie, dass sie in Ehrfurcht erstarrten und ihre Unterhaltung ei nstellten – im Gegensatz zum Beispiel zu
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