First Night - Der Vertrag (German Edition)
Aber er legte nicht auf. Nachdem sie ihm im Telegrammstil erklärt hatte, dass sie die Tante und die Erziehungsberechtigte von Benjamin war, schwieg er erst einmal eine lange Zeit mit russischer Schwermut ins Telefon und als Julia schon dachte, sie würde nie mehr eine Reaktion von ihm bekommen, antwortete er schließlich mit rollendem R und einer unglaublich tiefen Brummbärenstimme.
„Ich weiß es wieder. Sie waren im Büro von Mahler. Ich dachte zuerst, Sie sind Marie. Aber Marie war größer. Wo ist der Junge?“
Ganz so einfach würde sie es dem Mann nicht machen. Sie musste vorher erst wissen, was er von Benni wollte und was er über Maries Tod wusste.
„Gehe ich recht in der Annahme, dass sie Bennis Vater sind?“
Als Antwort kam ein röchelndes Lachen aus dem Hörer. „Süße, darüber reden wir nicht am Telefon.“
„Nein, das ist klar. Wir sollten uns treffen, Herr Morosow.“
„Kommen Sie heute Abend ins Grand Hyatt und bringen Sie den Jungen mit.“
„Nein!“
„Sie sind die Frau von Mahler?“
Er klang tatsächlich ein wenig verunsichert und diese Frage war der Versuch abzuklopfen, wie viel Gewicht ihr Nein tatsächlich hatte. Es musste wohlüberlegt sein, bevor man einem Thomas Mahler in die Quere kam.
„Nein, aber ich bringe Benni nicht mit. Ich möchte zuerst alleine mit Ihnen reden. Benni weiß noch gar nichts von Ihnen und ich muss versuchen, es ihm schonend beizubringen.“ Außerdem würde sie einen Teufel tun und sich in irgendeinem anonymen Hotelzimmer mit diesem Mann treffen. Nur weil sie bereit war, sich mit Morosow zu unterhalten, hieß das noch lange nicht, dass sie lebensmüde war und alle Warnungen von Eric in den Wind schlug.
Der Russe schwieg wieder. Vielleicht konnte er nicht gut genug Deutsch und hatte nicht alles verstanden, vielleicht versuchte auch i rgendeiner seiner Mitarbeiter nebenher, ihr Handy per GPS zu lokalisieren, um zu sehen, von wo aus sie anrief. Sie hatte das schon in Agentenfilmen gesehen. Da telefonierte das arme Opfer noch arglos in seiner Badewanne und fünf Minuten später stürmte ein Sondereinsatzkommando herein und die Wanne war plötzlich voller Blut. Sie fühlte sich mit ihrem Telefonat von der Kanzlei Raschberg aus allerdings ziemlich sicher.
„Sie wollen dem Jungen beibringen, wer ich bin?“, fragte der Russe unglä ubig.
„Wenn Sie wirklich sein Vater sind, hat er ein Recht, es zu wissen. Und Sie haben ein Recht, Ihren Sohn kennenzulernen.“
Vielleicht klang das zu geschwollen oder zu unglaubwürdig für ihn, denn er lachte wieder und das hörte sich an wie ein fernes Donnergrollen.
„Dann machen Sie mir einen besseren Vorschlag, Süße.“
Sie überlegte krampfhaft. Morgen wollte sie sich mit der polnischen Pfleg ekraft sowieso bei ihrem Vater in Spandau treffen. Diese Adresse kannte Morosow schon. Es wäre also unverfänglich, wenn sie sich dort trafen. Ein Restaurant oder sonst ein öffentlicher Ort würden zu viel Aufsehen erregen. Die kleinbürgerliche Siedlung und das Wohnzimmer ihres Elternhauses waren der bestmögliche Treffpunkt, fand Julia.
„Ich bin morgen am Abend in Spandau, bei meinem Vater. Können Sie zw ischen acht und neun kommen? Sie kennen die Adresse ja. Kommen Sie bitte alleine.“
„Süße, ich komme nie alleine!“, sagte er und sein Tonfall war so merkwürdig, dass Julia nicht wusste, ob er seine Bodyguards meinte oder etwa eine unterschwellige sexuelle Anspielung gemacht hatte.
Als d as Gespräch beendet war, war Julia über ihren eigenen Mut erschrocken und sie musste den spontanen Wunsch unterdrücken, Eric anzurufen und ihm zu gestehen, was sie gerade ausgefressen hatte. Er würde wahrscheinlich meckern. Nein, er würde rumschreien wie sein bescheuerter Boss. Aber Eric hatte im Augenblick mit Isabel genug Sorgen und sie wollte ihn auch nicht in einen Interessenkonflikt mit seinem Arbeitgeber bringen. Zwischen Thomas und ihr gab es keine Verbindungen mehr, also konnte sie auch nicht über dessen Bodyguard verfügen, als würde sie ihn selbst bezahlen.
Und außerdem: Sie kam um das Treffen mit Morosow nicht herum, selbst wenn Eric sie tausend mal davor warnte. Schließlich konnte sie nicht aussuchen, wen sie als Bennis Vater gerne haben wollte. Sie musste versuchen, das Beste daraus zu machen. Was auch immer das war.
Am späten Nachmittag holte sie Benni vom Hort ab und ging mit ihm auf dem Heimweg noch bei Sparfox vorbei, wo gerade Leinwände und Acrylfarbe im Angebot waren. Sie war von
Weitere Kostenlose Bücher