First Night - Der Vertrag (German Edition)
dagegen ihr Größenunte rschied zu Thomas. Sie konnte zu ihm aufblicken, ohne sich den Nacken verrenken zu müssen. Er war gut gebaut, aber nicht überbepackt mit aufgeblähten Muskeln. Eigentlich war er schon ziemlich perfekt.
Sie war sich sicher, dass sie bei Silvio mit einem Taekwondo-Kick keinen merklichen Schaden anrichten würde. Vermutlich würde sie ihn kurzfristig zie mlich überraschen und diesen Überraschungseffekt würde sie dann dreißig Sekunden später wieder bereuen. Nein, im Falle von Silvio Seidlitz half nur eines: Ganz klare Ansagen.
„Nicht mit Ihnen, Herr Seidlitz!“
Sie schlängelte sich an ihm vorbei und lief die Treppe hinunter. Er blieb oben vor Bennis Tür. Wenigstens nahm er seinen Job ernst. Herr Brockmann vertraute ihm und sie vertraute Brockmann.
Zurück im Wohnzimmer stellte sie fest, dass der Zustand ihres Vaters miserabel war. Sein Gesicht sah schief aus, beinahe wie nach einem Schlaga nfall, und das Sprechen fiel ihm schwer. Zusammen mit Tante Heike hievten sie ihn vom Sofa und brachten ihn zu Bett. Das war anstrengender, als Benni zu Bett zu bringen. Ihr Vater brauchte nachts eine Windel und Julia war es unendlich peinlich, ihrem Vater dabei helfen zu müssen sie anzulegen, aber samstags und sonntags kam die Pflegerin nicht und so blieb es nun mal an ihr oder Heike hängen, den Mann, der sie gezeugt hatte und der noch keine sechzig Jahre alt war, in eine Windel zu packen.
Als endlich Ruhe im Haus eingekehrt war und nur noch die völlig zerzauste Tante Heike und die bodenlos erschöpfte Julia im Wohnzimmer zurückg eblieben waren, begann Julia, ihrer Tante alles zu erzählen – alles über ihren Verdacht bezüglich der seltsamen Männer und alles, was sie in Maries Tagebüchern gelesen hatte und was sie über Maries Selbstmord vermutete.
„Ach, du liebe Güte!“, sagte Tante Heike immer wieder. „Du glaubst mir a lso, dass ich mir die Russen nicht eingebildet habe. Aber was sind das nur für Menschen, die erst unsere Marie in den Tod treiben und jetzt hinter Benni her sind?“
Julia wünschte , sie hätte eine Antwort darauf. Debby hatte ihre Politikertheorie zum Wanken gebracht und jetzt schwirrte das Wort Nachrichtendienst dauernd durch ihren Kopf. Sie wusste nicht, was Marie mit einem Nachrichtendienst zu schaffen gehabt haben könnte, aber die Theorie war angesichts der heutigen Ereignisse auch nicht mehr abwegiger als jede andere.
Sie holte die Schnapsflasche, die sie im Wohnzimmerschrank ihres Vaters gefunden hatte, und auch wenn der Ouzo vermutlich schon dreißig Jahre lang in diesem Schrank stand und sie Ouzo eigentlich gar nicht mochte, schenkte sie sich doch ein Sherryglas voll bis zum Rand und leerte es in einem Zug. Eine Stulle mit Butter und Wurst hätte ihr jetzt sicher mehr genützt als ein zweites Glas Ouzo. Aber sei’s drum.
„Tante Heike, erinnerst du dich genau an das, was dieser Mann gesagt hat? Hat er verlangt, dass du ihm Benni übergibst, oder hat er gesagt, dass er nur mit ihm reden möchte?“
„Ach, du liebe Güte! Ich war so erschrocken, als er da in der Tür stand und den ganzen Türrahmen ausfüllte und dann mit diesem russischen Akzent und diesem bösen Blick. Er hat mich angesehen, als wollte er mir die Kehle zudrücken und dann hat er gesagt: Der Sohn von Maria Dietrich, wohnt der hier? Und ich habe gesagt, weil ich dachte, das ist einer von den neuen Nachbarn und Benni hat mal wieder etwas angestellt, da hab ich gesagt: Nein, Benni wohnt nicht hier. Was hat er denn schon wieder angestellt ?“
„Hast du ihm gesagt, wo Benni wohnt? Dass er bei mir wohnt? Hast du i hm etwa gesagt, wo ich wohne?“
Wenn es ein Nachrichtendienst wäre , wüsste der doch bestimmt, wo sie und Benni wohnten. Ganz abgesehen davon, dass der angeblich russische Akzent des Mannes nicht gerade zum BND passte.
„Nein, um Himmels Willen, wo denkst du hin, Julchen? Er wurde dann gleich ganz wütend und sagte: Ich mach dich fertig, wenn du mir nicht sagst, wo ich den Jungen finde. Und da habe ich gebrüllt: Ich rufe die Polizei, was fällt Ihnen ein! Und dann habe ich die Tür vor seiner Nase zugeschlagen und habe am ganzen Leib gezittert. Am ganzen Leib! Glaub mir! Und Gott sei Dank hat Benni das alles nicht mitbekommen und dein Papa hat geschlafen.“
„Ich weiß nicht, was ich Benni sagen soll. Er fürchtet sich, auch wenn er es nicht zeigt. Ich kann nur hoffen, dass die Typen nicht herausfinden, wo Be nni wirklich wohnt“, sagte Julia mit mehr
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