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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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hintersten Winkel des Schulhofs angekettet. Doch etwas war anders heute Morgen: Er hatte den Rucksack mit den Büchern nicht dabei, hatte sich seit einer Ewigkeit die Zähne nicht geputzt und die Nacht inmitten von Milliarden Würmern verbracht, die im Dunkeln scharrten. Vor allem aber war heute Morgen die gesamte Schule auf dem Hof versammelt, um ihn abzupassen.
    Zunächst begafften sie ihn nur, dann fing einer seiner Mitschüler an, höhnisch zu lachen, ein anderer klatschte, und dann brach die Hölle los: Blödmann . Versager . Du hast es voll verschissen . Von allen Seiten prasselte es auf ihn ein, was er für ein Würstchen sei, dass ihm wohl das Dope ausgegangen sei und dass er sich nach Hause verpissen solle.
    Mirko war drauf und dran zu antworten Supergerne , und in dem Moment dachte er das wirklich. Aber er hatte keine Lust, etwas zu sagen, und es hätte ihm ohnehin keiner zugehört. Sie wollten ihm nur die übelsten Beschimpfungen an den Kopf werfen und ihm Kopfnüsse verpassen, während er sich zum Eingang der Schule durchkämpfte. Ab und zu spürte er ein paar Tropfen im Gesicht, aber vielleicht hatte ihn gar keiner angespuckt, sondern es war nur fliegende Spucke in dem ganzen Geschrei.
    Endlich war er an der Treppe und schlüpfte durch die Tür. Der Geruch des Gummibodens verhieß ihm schon die Rettung, doch im Flur standen jüngere Schüler, die ihn ebenfalls abgepasst hatten, und von draußen drängten die anderen nach, die mit ihren Schmähungen gar nicht mehr aufhören wollten. Beleidigungen und Stöße von allen Seiten, ein richtiger Meteoritenregen. Und dann reichte es Mirko. Was hatte er denn Schlimmes getan? Statt ihn als Blödmann und Junkie zu beschimpfen und die Spritze in den Arm zu simulieren, hätten sie ihm doch erklären können, was er Schlimmes getan hatte. Er drehte sich auf dem Absatz um, senkte den Kopf und bahnte sich irgendwie einen Weg durch die Menge. Draußen rannte er über den Pausenhof zum Fahrrad, seinem Fahrrad, machte es los, schwang sich im Flug darauf, und weg war er. Als die Meute die Einfahrt erreichte, um ihm noch weitere Gemeinheiten hinterherzuschleudern, war Mirko Colonna schon wie der Blitz am Ende der Hauptstraße.
    Kräftig trat er in die Pedale, immer kräftiger, nur weg von dem Geschrei, dem Gelächter und der giftigen Spucke. Was hatte er denn Böses getan? Er hatte verloren, na gut, aber alle verlieren ständig, und er darf das nicht ein einziges Mal? Nein, er darf das nicht, er ist ein Champion, und ein Champion, der verliert, wird erbarmungslos niedergemacht. Denn wenn du als Champion verlierst, bedeutet das: Du bist gar kein Gott, du bist scheiße, du bist genau wie sie.
    Aber Mirko ist mit niemandem vergleichbar. Er weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber es ist so.
    Er haut in die Pedale, er duckt sich, um den Luftwiderstand zu verringern, erreicht das Ende der Straße und wirft sich in den großen Kreisverkehr kurz vor dem Zentrum. Mirko möchte in den Angelladen zurück, wieder ins Bett kriechen und Fiorenzo alles erzählen, aber er kann jetzt nicht aufhören zu treten: Da ist diese wilde Wut, die immer höher steigt und Muskeln und Lunge aufbläht. Wenn er das nicht alles rauslässt, riskiert er, dass etwas in ihm platzt und er stirbt. Bei dem Gedanken tritt er noch kräftiger in die Pedale, er schaut auf seine Schenkel und tritt weiter, jetzt ist er im Kreisverkehr schon bei der fünften Runde. Immer schneller, wie ein wild gewordenes Karussell. Die Reifen rutschen bereits auf dem Asphalt, und wenn er so weitermacht, wird er noch aus der Bahn geschleudert, und man findet ihn zerschunden auf dem Dach eines der umliegenden Lagerhäuser. Also peilt er die nächste Ausfahrt an, sie ist schmal, und es steht nicht einmal dran, wo sie hinführt: genau das Richtige für ihn. Er legt sich in die Kurve, ungeachtet des Verkehrs und des Gehupes hinter ihm.
    Zehn Sekunden, und Mirko findet sich im Nirgendwo wieder, längs des Weges verläuft nur der Kanal, hie und da Haufen schwarzer Erde und weiter hinten ein großer dunkler, zerklüfteter Berg, der Colle di San Cataldo, das »kleine Stilfser Joch«. Früher gab es hier Steinbrüche, auf die heute noch Straßenschilder hinweisen, aber aus irgendeinem Grund ist es damit wohl vorbei. Auf den San Cataldo gehen jetzt nur noch Wilderer, Paare, die ein stilles Plätzchen für ein Schäferstündchen suchen, und sonntags Radamateure, die sich beweisen wollen und vor Anstrengung kotzen. Und jetzt fährt Mirko

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