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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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meinem Kopf die vollständigen Wörter zu einem vernünftigen Satz formieren. »Verzeihung, Signore, schlafen Sie?« Eine Hand patscht mir auf den Arm.
    Ich mache die Augen auf, da ist niemand, dann sehe ich etwas am Fuß der Pritsche.
    »Was zum Teufel willst du.«
    »Schlafen Sie, Signore?«
    »Jetzt nicht mehr, du Trottel.«
    »Tut mir schrecklich leid, aber ich muss Ihnen etwas sagen, etwas ganz Unglaubliches.«
    »Kannst du mir das nicht später sagen?«
    »Es ist aber wirklich ganz unglaublich.«
    »Mannomann.« Gähnend versuche ich in die Welt zurückzufinden. Der kleine Champion ist ganz aufgeregt. An seinen Klamotten kleben Schlammspritzer, und an seinem Hals verlaufen getrocknete Schweißspuren.
    »Signore, heute habe ich etwas begriffen.«
    »Wow, das ist ja ’ne Nachricht, schnell die Zeitungen anrufen.«
    »Ja, später vielleicht. Aber zuerst wollte ich es Ihnen sagen.« Er holt tief Luft. »Also, heute Morgen bin ich doch praktisch in die Schule gegangen, erinnern Sie sich?«
    »Vage.«
    »Eigentlich wollte ich ja gar nicht, und das wäre auch richtig gewesen, weil dort auf dem Pausenhof meine Mitschüler nur darauf gewartet haben, sich über mich lustig zu machen. Die ganze Schule hatte sich draußen versammelt, als gäbe es was zu feiern. Und als sie mich gesehen haben, haben sie angefangen, zu brüllen und fiese Gesten zu machen. Mit dem Finger, mit dem Arm und mit …«
    »Is ja gut, komm zum Punkt.«
    »Ja, Entschuldigung, Signore, ich mag auch keine langen Reden. Bei Witzen zum Beispiel, auch bei guten Witzen. Wenn die zu lange dauern, ist es nicht mehr lustig, weil das überhaupt kein Ende mehr …«
    »Mach’s kurz, verflucht noch mal.«
    »Ja, Entschuldigung. Also, meine Mitschüler haben mich total runtergemacht, sie haben geschrien, dass ich eine Niete bin und zum Kotzen und dass ich bei der ersten richtigen Bewährungsprobe versagt hätte. Und sie haben so Sachen gesagt wie Ihr habt wohl diesmal die falschen Medikamente erwischt, was? «
    »Diese Schweine. Und du?«
    »Ich habe auf den Boden geguckt, um keinen anschauen zu müssen, und bin reingegangen.«
    »Du bist reingegangen?«
    »Ja, aber dann bin ich doch noch abgehauen.«
    »Das hast du gut gemacht.«
    »Nicht wahr, Signore? Das denke ich auch, und dann bin ich den San Cataldo hochgefahren.«
    »Donnerwetter, wenn du abhaust, dann aber richtig, was.«
    »Ja, aber es war nicht so, dass ich unbedingt da rauf wollte, ich bin einfach nur so gefahren.« Der kleine Champion schaut mich wie verloren an, ich kann seine kleinen dunklen Augen im Halbschatten erkennen. »Ich hab in meinem Kopf immer noch diese Schreie gehört, aber gleichzeitig auch einen ganz starken Nervenkitzel gespürt, der lief durch meinen ganzen Körper und hat mir Schwung gegeben. Ich musste die Fäuste ballen und die Zähne zusammenbeißen, und meine Beine sind nur so geflogen. Und da hab ich etwas Unglaubliches kapiert: nämlich dass ich doch nicht gern verliere, sondern dass ich gewinnen will!« Und er macht ein Gesicht wie jemand, der eine weltbewegende Entdeckung gemacht hat.
    »Na und? Jeder will doch gern gewinnen.«
    »Ach, das wussten Sie schon? Ich nicht, ehrlich nicht. Aber zu meiner Rechtfertigung kann ich sagen, dass ich bis vorgestern auch noch nie verloren habe, ich wusste also gar nicht, wie das ist. Sie haben ja schon oft verloren und …«
    »Jetzt mal langsam, du Schlappschwanz, du kannst mich am Arsch lecken.«
    »Entschuldigung, Signore, ich hab das nicht aus Bosheit gesagt, ich hab es positiv gemeint.«
    »Was soll daran positiv sein.«
    »Nichts, Verzeihung, vergessen Sie’s. Entschuldigen Sie, aber ich kann heute nicht klar denken, ich bin nämlich noch ganz benommen von meiner Entdeckung.«
    So wie er mich dabei anschaut, kann ich ihn einfach nicht zum Teufel jagen. Mit den Augen eines Vögelchens, wie sie auf Jahrmärkten verkauft werden, ringsherum Massen von Menschen und der Lärm der Knallfrösche und die Kinder mit der Zuckerwatte, die schreien und weinen, und die Alten, die die Nase an den Käfig drücken und niesen. Und das Vögelchen hinter den Gitterstäben springt von einer Sprosse auf die nächste ohne jede Fluchtmöglichkeit und schaut dich mit seinen schwarzen Knopfaugen über dem Schnabel an, als würde es sagen Bitte, kauf mich, steck mich in eine Tüte und bring mich zu dir nach Hause. Vielleicht halte ich nicht bis morgen durch, vielleicht sterbe ich unterwegs, aber bitte bring mich fort von hier .
    »Schön«, sage ich.

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