Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
eines schönen heißen Sommerabends Ende Juni kamen wir zur Sache. Wir waren wieder bei ihr zu Hause, und diesmal klappte es besser, viel besser. Das war, ehrlich gesagt, vor allem Tizianas Verdienst. Sie hat Dinge mit mir gemacht, von denen ich eine Sekunde vorher noch nicht mal wusste, dass es sie gibt. Aber kaum hatte ich eine Kostprobe davon bekommen, war mir klar, dass ich mein ganzes Leben auf nichts anderes gewartet hatte. Bald traute ich mir selber einiges zu, und sie gab mir durch kleine Bewegungen und leises Stöhnen zu verstehen, wann ich es gut machte und wann ich eine besonders sensible Stelle erspürt hatte. Wenn es mir aber mal nicht gelang, sagte sie es mir ganz direkt Ja, Fiorenzo, ja, so, oh ja, das ist schön, nein, vorhin war’s besser, ja, genau so, genau hier, hör nicht auf, wunderbar, oh ja, ja, schön, oh ja.
Tiziana hat mir also eine Menge beigebracht, dabei bin ich niemand, der sich im Unterricht schnell begeistern lässt, aber diese Lektionen haben mir wirklich sehr gefallen. Es mag am Thema liegen und an den Fähigkeiten der Lehrerin, jedenfalls habe ich große Fortschritte gemacht. Auch im Hinauszögern habe ich mich verbessert, beim ersten Versuch schaffte ich es eine volle Minute, beim nächsten Mal ging’s noch besser. Nur beim dritten Mal hatte ich einen Rückfall, gerade mal dreißig Sekunden konnte ich mich zurückhalten. Aber schuld daran war Tiziana. Sie hatte ein so knappes Höschen an, das am Po dermaßen straff saß, dass mir sofort klar war, ich schaffe es nicht weit.
Nicht weit geschafft hat es auch Mirko, der sich mit seinem kaputten Bein die meiste Zeit bei mir in der Kammer oder im Laden aufhält. Seine Prüfungen hat er allerdings geschafft, dieser Teufelskerl. Ich hatte ihm gesagt, dass er es sich nicht erlauben könne durchzufallen, wenn er jemals wieder Radrennen fahren wolle (ihm die ganze Wahrheit zu sagen hab ich mich noch nicht getraut). Er meinte nur Okay, welchen Durchschnitt brauche ich? Ich fand, dass eine Drei vollauf genügte, um auf der sicheren Seite zu sein und nicht den Unmut der Klasse auf sich zu ziehen. Er hat also brav den Unterricht besucht, alle Schulaufgaben und Tests über sich ergehen lassen und jedes Mal genau die gewünschte Note erhalten: eine Drei.
Nach der mündlichen Prüfung hab ich ihn mit dem Roller abgeholt, wir haben noch schnell fünf Stück Kuchen gekauft (zwei für jeden und noch eins zum Teilen) und sind dann zum Feiern in den Laden zurück.
Er war es, der mich gefragt hat, ob er zu mir in die Kammer ziehen kann, sie sei zwar eng, aber er würde sich dort wohlfühlen. Wie absurd das doch alles ist. Ich hatte mal ein schönes und bequemes Zuhause, dann kam er und hat mich vertrieben, und ich habe mich in dieser lausigen Kammer eingerichtet, und jetzt wohnt er plötzlich auch hier. Und weil er so übel zugerichtet ist, habe ich ihm sogar meine Pritsche abgetreten und schlafe nun auf dem Boden. Das Verrückteste ist, dass ich mich dabei sogar wohlfühle.
Auf alle Fälle ist es hier besser als bei meinem Vater. Der wohnt jetzt nicht mehr am Kanal, sondern wieder zu Hause – oder in dem, was noch davon übrig ist: In den Trümmerhaufen hat er zwei, drei Möbelstücke gestellt, das war’s. Tagtäglich rennt er jetzt von einem Arzt zum anderen, um zu bereden, wie man dem kleinen Champion wieder auf die Beine helfen könnte.
Ausschlaggebend war, dass Mirko ihn eines Nachmittags fragte, wann das Radrennen von Borgo Valsugana stattfindet und ob das Ziel hinter einer Steigung liegt. Warum ihn das interessiere, wollte mein Vater wissen, und dieses Bürschchen antwortete Ich würde sie gern alle schon ein Stück vorher abhängen, dann könnte ich mit hochgereckten Armen gewinnen . Da ist mein Vater ausgeflippt und hat geschrien Er ist wieder gesund, er ist wieder gesund! Und seither geht er allen Krankenhäusern und Kliniken auf die Nerven und ruft sogar im Ausland an, um Ratschläge einzuholen. Da muss dann meistens ich ans Telefon, weil ich Englisch kann. Die Ärzte wundern sich immer, dass ich mir eine Diagnose zu einem Fall erwarte, den sie gar nicht kennen, und überhaupt ist die Verständigung schwierig, weil ich zwar ganz gut Englisch spreche, es aber von Musik-CDs gelernt habe und deshalb vor allem Wörter wie Sturm, Inferno, Tod, Gewalt, Mord, Metall, Schwert, Kampf und Rebellion kenne. Deshalb reden wir oft aneinander vorbei, und es kommt zu katastrophalen Missverständnissen. Zum Glück legen die meisten mitten im
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