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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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es nicht. Ich habe nicht darüber nachgedacht, und ich kann auch nicht darüber nachdenken. Denn ich bin gar nicht richtig da, ich bin überhaupt nicht da. Ich habe noch die kreisende Zunge der Frau von der Jugendinfo in meinem Mund und in meinem Kopf, und im Moment habe ich das Gefühl, das wird immer so bleiben.
    Tiziana, sie heißt Tiziana. Die Frau, die ich geküsst habe. Das heißt, eigentlich hat sie mich geküsst, aber das läuft auf dasselbe hinaus. Und es war kein normaler Kuss, es war einfach superstark. Okay, es war mein erster Zungenkuss, und deshalb kann ich nicht viel dazu sagen. Aber meiner Meinung nach brauchst du keine Erfahrung, um gewisse Dinge zu verstehen. In Hiroshima beispielsweise hatten sie auch noch nie zuvor eine Atombombe gesehen, aber als dann der Atompilz aufstieg, haben sie trotzdem sofort kapiert, dass es ein Mordsding war.
    Ein phänomenaler Kuss, bei dem ihre Zunge kreiste und drängte und ihre Hände über meine Hüften und meinen Rücken strichen. Ein Kuss, den ich ganz in mich aufgesogen habe, obwohl ich selbst gar nichts dazu beigetragen habe. Was hätte ich auch tun können? Gar nichts, ich hab doch von diesen Dingen keine Ahnung, tatsächlich hab ich sie nicht mal angefasst. Ich hab ihr nicht mal die Hand auf die Hüfte gelegt.
    Mein linker Arm lag wie paralysiert an meinem Oberschenkel, den rechten Arm hatte ich die ganze Zeit in der Hosentasche. Okay, ich hätte ihn rausnehmen können, aber ich hatte das Gefühl, es war nicht der passende Moment dafür. Normalerweise sind die Leute peinlich berührt, wenn sie mitkriegen, dass ich nur eine Hand habe, und wenn sie es mitkriegen, während sie dir ihre Zunge in den Mund schieben, ist es wahrscheinlich noch viel schlimmer. Ich habe also die ganze Zeit den Arm in der Hosentasche gelassen, die ganze Minute oder Stunde lang, während sie mit ihrer Zunge in meinem Mund herumgewühlt hat, und auch danach noch, als sie mich von sich weggeschoben hat. Sie hat zweimal tief ausgeatmet, mit einem Glucksen in der Kehle, und mit weit aufgerissenen Augen auf meine Brust gestarrt.
    Dann trat sie einen Schritt zurück und sagte Entschuldige , und ich sagte nichts. Sie sagte Verzeih mir und ich darauf Weshalb . Sie sagte Geh bitte, geh . Mit dermaßen weit aufgerissenen Augen, dass sie ihr todsicher herausgefallen wären, wenn ich in dem Moment den Arm aus der Hosentasche genommen hätte.
    Ich hab gesagt, geh. Geh schon! Diesmal mit erhobener Stimme. Von dem Moment an weiß ich nichts mehr, aber irgendwie muss ich es geschafft haben zu gehen.
    Denn jetzt bin ich ja hier. Im Laden, der geschlossen ist. Es ist Mittagszeit. Aber ich brauche nichts zu essen. In meinem Mund kreist immer noch eine Zunge.
    Und in meinem Kopf ein einziger Gedanke.
    Wie geht es jetzt weiter?

BLÖDE KUH, BLÖDE KUH, BLÖDE KUH
    Blöde Kuh. Du bist eine blöde Kuh. Man kann es nicht anders nennen, brauchst du auch gar nicht, denn es gibt keinen besseren Ausdruck für das, was du bist: eine blöde Kuh. Du solltest dich an den Computer setzen, ein neues Textdokument öffnen, den größten verfügbaren Schriftgrad nehmen, BLÖDE KUH eintippen und das Dokument unter dem Namen TIZIANA abspeichern. So blöd bist du.
    Du bist aus der Jugendinfo raus mit dem Gefühl, dass der Gehsteig, die Straße und die Alten dich anstarren, als säßen sie über dich zu Gericht. Das Urteil stand den Alten schon ins Gesicht geschrieben.
    »Signorina, geht es Ihnen gut? Hat der Kerl Sie belästigt?« und dabei schrieben sie fleißig in ihre Notizhefte.
    Du hast nicht geantwortet, vielleicht hast du nicht mal das Büro abgeschlossen. Du bist mit eingezogenem Kopf weggegangen und konntest gar nicht glauben, was dir da soeben passiert war.
    Dabei ist es dir gar nicht passiert, sondern du hast es getan. Du selbst hast es getan. Du bist eine BLÖDE KUH.
    Vor dem Haus steht ein weißer Lieferwagen mit einem stilisierten Insekt im Superman-Outfit und dem Euro-Zeichen auf der Brust. Das Insekt zwinkert mit einem Auge und hält den Daumen nach oben.
    Du rennst die Treppe hoch. Du möchtest dich in dein Zimmer verkriechen, hinter dir abschließen, den Schrank vor die Tür schieben, damit auch wirklich niemand reinkommt, und eine ganze Weile so verharren. Sagen wir, eine Woche. So lange, wie es dauert, um an Auszehrung zu sterben.
    Du steckst den Schlüssel ins Schloss, aber die Tür ist schon offen, von innen kommt Stimmengewirr, das schlagartig verstummt. Raffaella und zwei Männer in weißen Overalls

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