Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
verkneifen. »Und wenn du keine Lust hast, Mirko weiter Nachhilfeunterricht zu geben, kein Problem. Ich kann ihm auch in Italienisch helfen, okay?«
»Ja, gut, ich hab ohnehin keine Zeit dafür. Und außerdem hasse ich diesen Kerl. Ich habe einen richtigen Hass auf ihn.«
»Wie kannst du ihn hassen, er kriegt nicht mal ’ne verknotete Plastiktüte auf.«
»Fall bloß nicht darauf rein.« Fiorenzo steht auf. Er ist genauso groß wie du. »Lass dich nur nicht täuschen, der hat’s faustdick hinter den Ohren, das ist alles nur Show.«
»Mag sein, jedenfalls kann ich gern deine Nachhilfestunden übernehmen.«
»Prima, damit nimmst du mir eine Last von den Schultern. Und dazu noch diese ganzen Aufsätze, er wollte, dass ich …«
»Was für Aufsätze?«
»Seine eigenen.«
»Er hat dir seine Aufsätze gegeben?«
»Ja, wieso?«
»Er lässt sie niemanden lesen. Manchmal gibt er sie nicht mal der Lehrerin. Er kassiert lieber eine Sechs, als hätte er keinen geschrieben. Ich frag ab und zu mal nach, aber er schüttelt immer nur stumm den Kopf, da ist nichts zu machen.«
»Also, ich hab mich nicht darum gerissen, er selbst hat drauf bestanden und mir einen ganzen Stapel in die Hand gedrückt. Heute früh hat er mir schon wieder einen unter dem Rollgitter durchgeschoben. Keine Ahnung, was in seinem Dummschädel vorgeht. Wenn du willst, bringe ich sie dir.«
»Nein, danke, das wäre nicht korrekt.«
»Na und? Ich bring sie dir vorbei. Und hör mal, kannst du mir nicht deine E-Mail-Adresse geben? Dann schicke ich dir den Brief, der ins Deutsche übersetzt werden muss.«
»Okay, ich schreib sie dir auf. Ich habe übrigens auch einen Blog, falls es dich interessiert.«
Das hast du ihm gesagt. Einfach so, gedankenlos. Aus welchem Grund? Welchen Sinn hat das? Vielleicht hättest du gern einen vierten regelmäßigen Kommentator? Aber wieso sollte diesen Metal-Typen interessieren, was du da jeden Tag von dir gibst? Du bist lächerlich, Tiziana, du bist echt eine blöde Kuh. Aus Anspannung und Verlegenheit prustest du los, fast spuckst du. So gespuckt hast du nicht mehr seit der Zeit, als du eine Zahnspange tragen musstest.
»Du hast einen Blog? Cool, und was steht da drin?«
»Ach, nichts Besonderes. Blödsinn.«
»Schreibst du über Musik, über Filme?«
»Aber nein, über gar nichts. Vergiss es.«
»Aber wieso, es interessiert mich. Worüber schreibst du.«
»Über mich, es ist eine Art Tagebuch. Ich schreibe auch über dieses furchtbare Kaff.«
»Ah, dann will ich es unbedingt lesen! Gib mir deine E-Mail-Adresse und auch die Adresse von deinem Blog.«
Du nickst, greifst nach dem Stift und einem dieser fotokopierten Blätter und schreibst auf die Rückseite. »Übrigens liest auch ein Amerikaner meinen Blog«, sagst du jetzt. Auch das noch, warum hast du das gesagt? Du bist lächerlich, jämmerlich, dieser Junge wird sich über dich lustig machen und deinen Blog seinen Freunden zu lesen geben, die sich ebenfalls über dich lustig machen werden, und zwar völlig zu Recht.
Aber es scheint ihn tatsächlich zu interessieren. »Cool!«, sagt er. »Ein Amerikaner? Wie hat er dich entdeckt?«
»Keine Ahnung, aber er schaut jeden Tag rein. Ich hab ein Programm, das mir anzeigt, wer meinen Blog besucht, und er schaut jeden Tag rein.«
»Stark. Und woher ist er? New York, Washington …«
»Nein, er lebt in Kalifornien.«
»Phantastisch. Los Angeles, San Francisco, von dort kommen die besten Bands.«
»Ja, aber er kommt aus einer ruhigeren Ecke. Mountain View.«
»Woher?«
»Mountain View.« Es ist ein komisches Gefühl, den Namen seiner Stadt laut auszusprechen. Du errötest leicht. Aber die Miene des Jungen verändert sich, er schüttelt den Kopf.
»Ah. Okay. Nein, Tiziana, dann ist es kein Mensch, sondern der Zentralserver von Google, der steht nämlich in Mountain View. Er verbindet sich täglich automatisch mit allen Websites, um sie zu aktualisieren. Es ist kein Mensch, der deinen Blog besucht, sondern ein Computer.«
Er sagt es sehr bestimmt und lächelt dich dabei freundlich an. Und er merkt es gar nicht, er hat nicht die leiseste Ahnung, dass für dich eine Welt zusammenbricht. Sie gerät ins Wanken und bröckelt Stück für Stück.
Wie verfallene Häuser, die überall Risse haben, von Kletterpflanzen überwuchert sind und trotzdem jahrelang stehen bleiben. Dann genügt ein plötzlicher Windstoß, und sie stürzen ein. Und auch du brichst zusammen, Tiziana. Amerika bricht zusammen, dein
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