Fischland Mord - Küsten-Krimi
ran.«
Kassandras Gesicht hellte sich auf. Das Vibrieren des Telefons hatte
sie auf einen Einfall gebracht, mit dem die Rechtsmedizinerin nach kurzem
Überlegen einverstanden war. Kassandra wartete, bis Verena Steiner wieder den
Anbau betreten hatte, um dort zu verkünden, dass Kassandra sich noch ausruhen
müsse. Danach schlich sie selbst gebückt durch den Garten, drückte sich an die
Tür des Anbaus, griff nach Kinds iPhone und wählte eine eingespeicherte
Inlandsnummer nach der anderen an. Das dauerte länger als gedacht, aber bei der
dreizehnten Nummer hörte sie von drinnen einen Klingelton, synchron zum
Freizeichen an ihrem Ohr. Kassandra verspürte Angst, das iPhone drohte ihrer
Hand zu entgleiten, aber sie hatte keine Wahl mehr.
Sie riss die Tür auf. Menning stand zwei Meter rechts von ihr und
hatte gerade nach seinem Telefon gefischt. Als er sie reinkommen hörte, hielt
er in der Bewegung inne.
»Frau Voß, geht’s Ihnen besser?« Ohne ihre Antwort abzuwarten,
schaute er auf sein Display.
Obwohl es nicht sonderlich hell im Raum war, konnte Kassandra
erkennen, wie blass Menning wurde. Verwirrt fixierte er den Namen eines Toten,
den sein iPhone anzeigte, bevor er die plötzliche Stille um sich herum bemerkte.
Er sah hoch, sein Blick traf Kassandras – und richtete sich dann auf das, was
sie in der Hand hielt.
Kassandra war nie jemandem begegnet, der sich schneller bewegen
konnte als Menning. Im Bruchteil einer Sekunde schien er die kurze Entfernung
zwischen ihnen überbrückt zu haben, entwand ihr Kinds iPhone, umklammerte sie
von hinten und presste ihr seine Dienstwaffe an die Schläfe. »Keiner rührt
sich«, sagte er. »Bengt, lass sie stecken.«
Kassandra war kurz schwarz vor Augen geworden. Als sie wieder
deutlich sehen konnte, erkannte sie, dass Johannsen einen Schritt auf sie zu
gemacht hatte, die Hand unter dem Jackett. Ganz langsam zog er sie wieder
hervor. Leer.
»Bleib ruhig, Claus. Du hattest Glück, dass Kay den … Unfall
überlebt hat, riskier nicht noch mal das Leben eines Menschen.«
Kassandra spürte, dass Mennings Griff sich etwas lockerte. Offenbar
überraschten ihn Johannsens Worte. »Kay? Das wisst ihr?«
Johannsen hob die Brauen. »Jetzt schon.«
Menning stieß Luft aus. Kassandra roch seinen Schweiß, er hatte Angst
wie sie, aber das machte es für sie nicht leichter, im Gegenteil. Wenn er Angst
hatte, würde er vor nichts zurückschrecken. Ihre Augen irrten durch den Raum,
trafen auf Violetta und Jonas, beide entsetzt, irrten weiter zu Heinz Jung und
Johannsen, die äußerlich gefasst wirkten und wahrscheinlich mit geschultem
Polizeiverstand überlegten, wie sie vorgehen sollten. Dann sah sie zu Degenhard
und Arnold. Degenhard schien das alles nicht zu interessieren, er war zu sehr
mit sich selbst beschäftigt. Arnold schaute sie beinah mitleidig an, richtete
den Blick aber schon bald wieder auf Tinas Gestalt unter der Decke und versank
in Trauer. Verena Steiner und die beiden Beamten von der Spurensicherung
warteten einfach ab, wobei es Kassandra vorkam, als hätte einer von ihnen
besondere Wut im Blick. Sie staunte, dass sie das in ihrer Situation überhaupt
wahrnahm. Vielleicht eine Art Selbstschutz, sich mit den anderen statt mit
ihrer eigenen Lage zu befassen.
»Claus, du hast keine Chance. Gib auf«, sagte Johannsen.
»Ich denk nicht dran. Es steht zu viel für mich auf dem Spiel. Ich
werde jetzt mit Frau Voß ins Auto steigen, und niemand wird uns folgen, ist das
klar? Wenn ich merke, dass sich irgendwer an uns dranhängt, ist sie tot.« Er
sprach ihr direkt ins Ohr. »Kommen Sie. Keine plötzlichen Bewegungen.« Er schob
sie mit sich rückwärts über die Türschwelle, doch da blieb er so abrupt stehen,
dass Kassandra ins Straucheln geriet.
»Lassen Sie sie los, oder Sie sind tot.«
Paul. Das war Paul hinter ihnen. Kassandra konnte nur raten, was in
ihrem Rücken passierte, Menning hielt sie immer noch fest. Paul klang mühsam
beherrscht, da war nichts von der gefühllosen Kälte, die er Arnold gegenüber so
oft an den Tag gelegt hatte.
»Lassen – Sie – sie – los«, wiederholte er und betonte jedes
einzelne Wort.
»Herr Freese«, mischte Johannsen sich ein, »tun Sie nichts
Unüberlegtes.«
»Johannsen hat recht«, sagte Menning. »Nehmen Sie die Waffe aus
meinem Rücken, sonst wird Frau Voß sterben, bevor Sie abdrü…«
Der Schuss kam so unerwartet und so laut, dass Kassandra heftig
zusammenfuhr. Gleichzeitig schleuderte Menning sie von sich, sie
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