Fischland-Rache
aber von Micha überzeugen. Als wir dann allerdings erwischt wurden, hat keiner mehr bezweifelt, wer uns verpfiffen hatte â obwohl sie das ganz schlau angestellt hatten. Ralf war an dem Abend mit dabei, nur ist er im Gegensatz zum Rest von uns mit einer Verwarnung davongekommen.«
»Die haben euch nach Bautzen geschickt, weil ihr die falsche Musik gespielt habt?«
Paul schüttelte den Kopf. »Wenn wir bloà das getan und ansonsten unsere Klappe gehalten hätten, hätten wir sicher sehr viel Ãrger gekriegt, aber vielleicht wäre nichts übermäÃig Schlimmes passiert. Nur haben wir eben nicht unsere Klappe gehalten. Karstens und meine Moderationen bestanden aus Satire, Ironie und ein paar Wahrheiten â âºstaatsgefährdende Propaganda und Hetzeâ¹.« Er machte eine kleine Pause, in der Kassandra sich vorzustellen versuchte, was sie alles gesagt hatten. »Micha hatâs am heftigsten erwischt, er ist zu zwei Jahren verurteilt worden. Wahrscheinlich haben sie es ihm besonders übel genommen, weil er an der Seefahrtschule studierte und sein Wissen für die falschen Zwecke eingesetzt hat. Karsten haben sie ein Jahr aufgebrummt, und ich kam mit meinen zehneinhalb Monaten am glimpflichsten davon. Was nichts daran änderte, dass natürlich keiner von uns nach dem Knast das aus seinem Leben machen konnte, was wir eigentlich vorgehabt hatten.«
Was Paul unerwähnt lieÃ, Kassandra aber damals schon von ihm erfahren hatte, war der ganz persönliche weitere Tiefschlag, den er erlebt hatte, als er aus dem Gefängnis kam. Karin, das Mädchen, das er liebte, hatte inzwischen Heinz geheiratet.
»Du musst Ralf Peters hassen«, sagte Kassandra und spürte, wie dieses Gefühl auch von ihr Besitz ergriff.
»Damals â ja, ich glaube, ich habe ihn gehasst. Dabei hat er sich in seinem verzweifelten Wunsch dazuzugehören nur für die falsche Seite entschieden. Er ist immer noch so. Er will dazugehören, angesehen sein. Dafür tut er immer noch, was nötig ist. Ich hasse ihn schon lange nicht mehr, er tut mir leid. Das mag etwas arrogant klingen, aber es ist so.«
»Dafür, dass er dein Leben zerstört hat, bist du sehr groÃzügig«, fand Kassandra.
Paul schien zu überlegen, was er darauf entgegnen sollte. »Ein paar Jahre nach der Wiedervereinigung lieà mich der Gedanke nicht mehr los, mir meine Stasi-Akte anzusehen. Eigentlich unnötig, ich wusste ja, was Sache war, aber etwas nagte an mir, also stellte ich einen Antrag auf Herausgabe. Es dauert sowieso schon seine Zeit, bis man die Kopie in den Händen hält, aber als das Paket endlich angekommen war, hab ich es noch ein weiteres Dreivierteljahr liegen lassen. SchlieÃlich fing ich doch an zu lesen. In den Akten werden nur die IM -Decknamen genannt, keine Klarnamen. In meiner tauchten zwei auf, ein IM  Feliks und ein IM Dzierzynski, was der Angelegenheit, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, immerhin eine gewisse originelle Note verlieh.« Paul sah Kassandra an, die verstehend nickte. Sie wusste aus dem Geschichtsunterricht, dass Feliks Dzierzynski Chef der ersten sowjetrussischen Geheimpolizei gewesen war. Paul erzählte weiter. »Beim Lesen wurde mir eins klar: Feliks hatte seinem Führungsoffizier sporadisch mehr oder weniger Kleinigkeiten mitgeteilt, Dzierzynski dagegen war sehr viel gründlicher gewesen und seiner Tätigkeit anscheinend mit Leidenschaft nachgegangen. Dzierzynski war es auch gewesen, der alle entscheidenden Hinweise gegeben hatte, die uns schlieÃlich ans Messer lieferten, einschlieÃlich der exakten Uhrzeit, zu der man uns wo finden würde.« Paul hielt kurz inne. »Wie die Einsicht in die Akten an sich kann man auch beantragen, über die Klarnamen der IM s informiert zu werden. Es ist nicht immer gewährleistet, dass die Unterlagen dazu vorhanden sind, aber ich hatte Glück. Oder Pech, wie manâs nimmt. Bruno war dabei, als ich erfuhr, wer sich hinter den IM s verbarg. Mein Vater war schon lange tot, und ich war zum ersten Mal froh darum.« Paul schloss die Augen. »Feliks war Ralf Peters. Dzierzynski war Sascha.«
Für ein, zwei Sekunden stand die Zeit still. Kassandra hatte es kommen sehen, trotzdem konnte sie es nicht fassen. »Dein eigener Bruder hat dich â¦Â« Sie brachte es nicht fertig, zu Ende zu sprechen.
»Ja. Es ist möglich, dass er die Informationen
Weitere Kostenlose Bücher