Fisherman's Friend in meiner Koje - Gier, K: Fisherman's Friend in meiner Koje
die mich im wirklichen Leben höchstens zu einer Äußerung wie »Na und?« veranlasst hätte.
Natürlich klappte es nicht bei jedem auf Anhieb. Ich zum Beispiel behauptete, die Boje an Steuerbord aufnehmen zu wollen, leider aber trieb sie dann an Backbord vorbei. Fred semmelte mehrmals in voller Fahrt über die Boje hinüber, wäre es ein Mann gewesen, wäre er vermutlich in zwei Teile geschnitten worden. Und Angela schaffte es leider niemals, näher als zwanzig Meter an die Boje heranzukommen.
»Na ja«, sagte Stefan, der überwiegend stumm in seiner Ecke gesessen hatte. »Wir haben ja noch zwei Übungsstunden bis zur Prüfung.«
Immerhin, das anschließende Anlegemanöver führte ich vorbildlich aus, auch wenn ich bis heute nicht weiß, wie mir das gelungen ist. Nur zwei von drei Fendern kamen überhaupt mit der Hafenmauer in Berührung. Der Skipper lobte mich, indem er sagte, das sei das bisher gelungenste Manöver des Tages.
»Wie bitte?«, fragte ich, weil ich fürchtete, dass es nicht alle deutlich genug gehört hatten.
»Jetzt ist Heinrich an der Reihe«, erinnerte uns Ursel, und Heinrich postierte sich hinter dem Steuerrad, rückte seine Kapitänsmütze gerade und legte den ersten Gang ein.
Bevor er aber losfahren durfte, verlangte der Skipper, dass ich das Boot einmal pro forma vertäuen und wieder losmachen sollte, was ebenfalls eine mögliche Prüfungsaufgabe sein könnte.
Zwischen Boot und Treppe lag schätzungsweise ein Meter graues Rheinwasser, den ich mit einem einzigen anmutigen Hüpfer zu überwinden gedachte.
Gedacht, getan. Graziös wie eine Feder flog ich durch die Luft. Leider war meinen kurzsichtigen Augen eine entscheidende Kleinigkeit entgangen, nämlich ein im Boden befestigter Eisenring. Auf diesem Ring machte ich eine kurze Zwischenlandung, bevor mein Fuß umknickte und ich ungefähr so graziös wie ein Kartoffelsack im Rhein verschwand.
Als ich mit dem Kopf wieder an die Wasseroberfläche kam, hörte ich den Bootsmotor aufjaulen.
»Mann über Bord!«, brüllte Heinrich ganz vorschriftsmäßig.
Ich beeilte mich, auf die Treppe loszupaddeln, bevor die Schiffsschraube mich zu Mus verarbeiten konnte.
»Ich krieg’ das Ding nicht los, ich krieg’ das Ding nicht los!«, hörte ich Rosi verzweifelt rufen, und eine andere Stimme – ich glaube, die von Fred – schimpfte laut: »Falsch, falsch, falsch! Ganz falsch!«
Ein Schatten glitt über mich hinweg, gleichzeitig fiel neben mir etwas ins Wasser, das, wie ich später erfuhr, die Heckleuchte war. Rosi hatte sie in der allgemeinen Hektik aus Versehen statt des Rettungsrings losgeknotet.
In der Zwischenzeit hatte ich die Treppe erreicht. Mein Daunenanorak hatte sich wie ein Schwamm mit Wasser vollgesogen, ich wog schätzungsweise eine Tonne. Trotzdem gelang es mir, mich aufzurichten und mich bis zur Brust aus dem Wasser zu hieven. Aber ehe ich einen weiteren Schritt ins Trockene wagen konnte, landete etwas Schweres auf meinem Kopf und brachte mich erneut aus dem Gleichgewicht.
»Verdammt!«, gurgelte ich. Es war der Rettungsreifen, der mir das halbe Ohr abriss, bevor er auf meinen Schultern hängenblieb.
»Getroffen«, rief Ursel aufgeregt. Ich sah ihr Gesicht neben denen Rebeccas, Angelas und Billes über der Reling hängen. Bille hatte die Hand vor den Mund gelegt, bei Rebecca konnte man bis zu den Mandeln blicken. Angela lächelte mitleidig.
Zähneknirschend zog ich mich weiter auf den rutschigen Stufen an Land. Auf den letzten Zentimetern streckte mir Stefan seine Hand entgegen. Er sah ziemlich erschrocken aus.
»Was sollte denn das werden?«
Der Schock saß mir noch in allen Gliedern, ebenso die eiskalte Schmutzbrühe von Vater Rhein. Daher fiel mir so schnell keine schlagfertige Antwort ein. Ich kämpfte vielmehr mit den Tränen.
Stefan schien auch gar keine Antwort zu erwarten.
»Macht erst mal ohne uns weiter«, sagte er zu den anderen, die mich mit schreckgeweiteten Augen anstarrten. »Ich kümmere mich um Judith.«
Zum ersten Mal hatte er meinen Namen richtig ausgesprochen. Als er dann auch noch seinen Arm um meine nasse Schulter legte und mich die Treppe hinaufführte, hätte ich wirklich fast geweint.
Das Boot mit den anderen legte wieder ab und steuerte im Zickzackkurs zur gegenüberliegenden Seite.
Stefan lotste mich zu seinem Auto und zog mir meinen Anorak aus. Jetzt erst kam ich dazu, mich fürchterlich zu genieren. Mein Gott, was hatte ich gemacht? Wie unendlich peinlich, vor aller Augen ins Wasser zu
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