Fisherman's Friend in meiner Koje - Gier, K: Fisherman's Friend in meiner Koje
leiten oder Jack sei in Wirklichkeit eine Frau – sie würde es glatt schlucken!
Nächste Woche ist schon die Prüfung für den Sportbootführerschein. B. sagt, er würde mich abfragen und alles erklären, was ich bis jetzt noch nicht verstanden habe. Er ist ja so süß! Er redet auch immer davon, dass ich als Modell ganz groß rauskommen könnte, wenn er mich managen würde. Wer hätte das gedacht?
8
Auf die erste Segelstunde nach den Ferien freute ich mich wie ein Kind auf Weihnachten. Drei lange Wochen hatte ich Stefan nicht gesehen, drei Wochen, in denen ich mir unter anderem auch unser Wiedersehen ein- bis zweihundertmal ausgemalt hatte. Zum Beispiel so:
Ein heftiger Orkan braut sich über dem Mutter-Teresa-Seniorenheim zusammen. Trotz der niederschmetternden Wettervorhersage habe ich mich auf den Weg gemacht. Gerade als ich mein Auto abstelle und den Parkplatz überquere, tobt der Orkan los. Wie es der Zufall will, ist auch Stefan in diesem Augenblick angekommen. Er erkennt, dass der Sturm mich erfassen und in die Lüfte schleudern wird, sprintet aus seinem Auto und zieht mich unter Einsatz seines Lebens in den Schutz des Mutter-Teresa-Seniorenheimes (welches leersteht, weil die Senioren ausgerechnet heute ihren Wandertag haben). Wir sind die Einzigen vom Kurs, die es bis hierhin geschafft haben, die anderen sind entweder zu Hause geblieben oder im Sturm umgekommen (Angela). So verbringen wir die Nacht eingeschlossen im Aufenthaltsraum, während draußen entwurzelte Bäume und Straßenbahnen durch die Gegend fliegen. Natürlich bleibt es nicht aus, dass wir uns in einer solchen Nacht näherkommen – es könnte schließlich die letzte sein.
Tatsächlich verlief unser Wiedersehen etwas weniger dramatisch. Als Rebecca, Bille und ich eintrafen, stand Stefan wie gewohnt mit dem Rücken zu uns und malte ein bootsähnliches Gebilde an sein Flip-Chart. Bis auf Heinrich und Ursel saßen schon alle auf ihren Plätzen.
»Hallo, zusammen«, sagten Rebecca und Bille, und ich sagte auch »Hallo«, aber nur zu Stefan.
Möglich, dass er etwas darauf erwiderte, aber wenn überhaupt, ging es im allgemeinen Begrüßungstumult unter, zumal gleich hinter uns Ursel und Heinrich eintrafen. Ich war nicht wirklich enttäuscht, dazu war ich viel zu glücklich, Stefan wieder live vor mir zu sehen, von den ausgetretenen Boots bis hin zu den kurzgeschnittenen, ungestylten Locken.
Auch das Wiedersehen mit den anderen, von Angela und Ulf mal abgesehen, bereitete mir echte Freude. Daran merkte ich, dass sie mir alle ans Herz gewachsen waren. Rosi mit ihrem türkisfarbenen Lidschatten, heute übrigens in einem weißen Outfit mit goldenen Nieten, Fred, der Knötterbock, Heinrich und Ursel, so distinguiert und vornehm, Bernie mit seinem Handy, Jack, der Seebär, Dirk mit diesem breiten Lächeln, von dem ich vermutete, dass es in erster Linie Rebecca galt – ich liebte sie alle. Fast alle, wie gesagt.
»Das ist aber jetzt nicht deine Naturfarbe?«, meinte Angela, kaum dass ich saß. Nun gut, die Feststellung war berechtigt. Kanadischer Ahorn war auf dem sonnengebleichten Haar etwas kräftiger ausgefallen als auf der Packung angegeben. Meine Haare hatten jetzt die Farbe eines Schildes mit der Aufschrift ›Feuerwehrausfahrt freihalten‹.
Aber trotzdem sah ich immer noch besser aus als Angela. Sie hatte die Haare auf der Kopfmitte zu einem überdimensionalen Dutt getürmt, der dort ausgesprochen deplaziert wirkte. Sie sah aus wie Liselotte Pulver in ›Kolhiesels Töchter‹. Ich beschloss, ihre Frage einfach zu ignorieren, was um so leichter war, weil Stefan seinen Unterricht mit den üblichen, ungemein motivierenden Eingangsworten eröffnete.
»Heute wird es wieder mal gähnend langweilig. Wir müssen uns den Licht- und Schallsignalen widmen.«
Und während wir erfuhren, dass Seitenlichter über einen Horizontbogen von jeweils einhundertzwölfkommafünf Grad strahlen, und zwar entweder nach Steuerbord oder nach Backbord von recht voraus bis zweiundzwanzigkommafünf Grad achterlicher als querab, ließ ich meinen Gedanken wieder einmal freien Lauf.
Gut, die Prüfung für den Sportbootführerschein war schon in der nächsten Woche, und ich hätte vielleicht etwas mehr aufpassen sollen – aber wozu? Ich meine, diesen ganzen Theoriemist musste ich nicht wirklich verstehen, ich musste ihn nur auswendig lernen. Und darin war ich große Klasse.
Nehmen wir zum Beispiel Frage 280: Nach welcher Seite dreht sich im Allgemeinen das Heck im
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