Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
ständig ins Gedächtnis rufen, dass sie von königlicher Herkunft und mit Veritas verlobt war. Ich war nie zuvor einer Frau wie ihr begegnet. Sie besaß eine so gelassene Würde, die dem starren Standesbewusstsein derer Wohl- und Hochgeborenen, die mir gewöhnlich begegneten, völlig widersprach. Sie dagegen zögerte nicht, mir zuzulächeln, sich für ein Gespräch zu begeistern oder in der Erde zu graben, um mir die besagte Wurzel zu zeigen, von der gerade die Rede war. Sie rieb die Knolle sauber und schnitt dann mit ihrem Gürtelmesser aus der Mitte ein Stück heraus, damit ich davon probieren konnte. Sie zeigte mir bestimmte Kräuter für Fleischgewürze und bestand darauf, dass ich von jeder der drei Sorten ein Blatt probierte, denn obwohl sie sehr ähnlich aussahen, waren sie vom Geschmack her doch völlig verschieden. In gewisser Weise ähnelte sie Philia, allerdings ohne deren Exzentrizität auszustrahlen. In anderer Weise erinnerte sie mich auch an Molly, doch ohne die Härte, die sich Molly zum Überleben hatte aneignen müssen. Wie Molly redete sie völlig offen mit mir, als wären wir ebenbürtig. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass diese Frau mehr nach Veritas’ Geschmack war, als dieser vielleicht erwartete.
Doch eine andere Stimme in mir fragte sich besorgt, wie Kettricken wirklich auf Veritas wirken mochte. Er war kein Weiberheld, aber wer ihn kannte, wusste auch, welche Frauen er bevorzugte. Die Frauen, an denen er Gefallen fand, waren gewöhnlich klein, drall und brünett und hatten oft lockiges Haar,
ein mädchenhaftes Lachen und kleine, weiche Hände. Und nun bescherte ihm das Schicksal diese hochgewachsene, blasse Frau, die sich so einfach kleidete wie eine Dienerin und verkündete, sie hätte große Freude daran, ihre eigenen Gärten zu pflegen. Im Laufe unseres Gesprächs stellte sich heraus, dass sie so fachmännisch über Falknerei und Pferdezucht reden konnte wie jeder Stallmeister. Und als ich mich nach ihrem liebsten Zeitvertreib erkundigte, erzählte sie mir von ihrer kleinen Schmiede, von Zangen und anderen Werkzeugen zur Metallbearbeitung, und dabei schob sie ihr Haar nach hinten, um mir die Ohrringe zu zeigen, die sie für sich selbst gefertigt hatte. Die fein getriebenen Blütenblätter einer silbernen Blume hielten einen winzigen Diamanten, der wie ein Tautropfen in ihrem Herzen ruhte. Irgendwann einmal hatte ich zu Molly gesagt, Veritas verdiente eine tüchtige, selbstbewusste Gemahlin, aber jetzt kamen mir Zweifel, ob Kettricken ihn als Mann zu betören vermochte. Er würde sie respektieren, dessen war ich sicher. Aber genügte Respekt zwischen einem König und seiner Königin?
Das stand in den Sternen, aber mir bot sich jetzt die Gelegenheit, mein an Veritas gegebenes Versprechen zu halten. Ich fragte die Prinzessin, ob Edel ihr viel von ihrem zukünftigen Gemahl erzählt hätte, worauf sie plötzlich ganz schweigsam wurde. Ich spürte, wie sie ihre ganze innere Kraft zusammennahm, als sie erwiderte, sie wisse, er sei ein Kronprinz, dessen Reich von vielen Gefahren bedroht werde. Edel hatte sie auch davor gewarnt, dass Veritas erheblich älter sei als sie und ein schlichter, unbedarfter Mann, der sich ihr gegenüber womöglich gleichgültig zeigen könnte. Edel hatte aber gelobt, immer an ihrer Seite zu sein, ihr beizustehen und sein Bestes zu tun, damit sie sich am Hof nicht einsam fühlte. Also war sie vorbereitet …
»Wie alt seid Ihr?«, fragte ich aus einem Impuls heraus.
»Achtzehn«, erwiderte sie und musste lächeln, als sie den überraschten Ausdruck auf meinem Gesicht bemerkte. »Weil ich groß gewachsen bin, scheinen deine Landsleute zu glauben, ich sei viel älter.«
»Nun, dann seid Ihr jünger als Veritas. Aber der Unterschied ist nicht sehr viel größer als bei anderen Ehepaaren. Er wird im Frühling dreiunddreißig.«
»Ich hatte ihn viel älter eingeschätzt«, meinte sie verwundert. »Edel sagte, sie hätten nur den Vater gemeinsam.«
»Es stimmt, dass Chivalric und Veritas beide die Söhne von Listenreichs erster Königin sind, doch er hat bald wieder geheiratet. Und Veritas ist in weniger schweren Zeiten gar nicht so mürrisch und ungesellig, wie Ihr ihn Euch vielleicht vorstellt. Er ist ein Mann, der auch lachen kann.«
Sie blickte mich aus den Augenwinkeln heraus an, als wollte sie sehen, ob ich versuchte, Veritas über Gebühr darzustellen.
»Glaubt mir, Prinzessin. Ich habe ihn lachen gesehen wie ein Kind, wenn beim Frühlingsfest die
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