Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
offensichtliches Vergnügen, mit dem er zugeschaut hatte, wie ich geschlagen wurde.
Sorgenvoll dachte ich darüber nach, wo Chade sein mochte. Falls es Edels Schergen gelang, ihn zu fangen, zweifelte ich nicht, dass er ihn sich schnellstens vom Hals schaffen würde. Ich bemühte mich, das Bild von dem großen, dünnen und grauen Chade aus meinen Gedanken zu verbannen, wie er im hellen Sonnenlicht auf dem Galgengerüst stand.
Oder vielleicht hatte Edel anderes mit ihm im Sinn? Weniger umstandslos und gnädig?
Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesen Gedanken zu befreien, und ging an den armen Seelen vorbei, die im Wind flatterten wie vergessene Laken. Mit wahrem Galgenhumor fiel mir auf, dass selbst sie besser gekleidet waren als ich.
Auf der Straße musste ich immer wieder Fuhrwerken und Hirten mit ihrem Vieh ausweichen, denn zwischen Poma und Fierant herrschte ein lebhafter Warenverkehr. Das erste Stück Wegs führte mich an respektablen Gehöften vorbei, mit Kornfeldern zur Straße hin und Obstgärten hinter dem Haus. Etwas weiter auf dem Weg waren es dann Gutshöfe und Wirtschaftsgebäude aus komfortablen Steinmauern und unter schattigen Bäumen, die von Grünanlagen umgeben waren und auf deren Koppeln sich Jagd- und Reitpferde befanden. Mehr als einmal hätte ich schwören können, darunter ein Tier aus Bocksburger Zucht zu erkennen. Danach kamen große Flachs- und Hanffelder. Schließlich kam ich an bescheideneren Wohnstätten entlang, und diese verdichteten sich zu den Außenbezirken einer Stadt.
Dachte ich zumindest. doch erst am späten Nachmittag fand ich mich im Herzen einer Metropole mit ihren gepflasterten Straßen und Gassen und ihrem geschäftigen Treiben wieder. Ich schaute mich nach allen Seiten hin um und staunte wie der arme Vetter vom Lande. Ich sah Läden, Schänken und Herbergen, Stallungen und Schuppen jeglicher Art und Größe, aber alles war hier auf dem flachen Land ohne Raumnot so unglaublich verschwenderisch und weitläufig angelegt. Was für ein Gegensatz zu den engen, verwinkelten Städten und Dörfern in Bock! Ich geriet in einen Stadtteil mit Parks, Brunnen, Tempel, Theater und Schulen. Weiße Kieswege und gepflasterte Promenaden wanden sich beschaulich zwischen Rabatten, Statuen und Bosketten hindurch. Die Menschen, die dort gemächlich flanierend oder in offenen Kutschen unterwegs waren, sah man ausstaffiert, wie es in Bocksburg höchstens bei förmlichen Empfängen vorkam. Einige von ihnen trugen die braungoldene Livree der Herzöge von Farrow, doch selbst die Kleidung dieser Lakaien war von besserer Qualität als alles, was ich jemals besessen hatte.
Hier also hatte Edel die Sommer seiner Kindheit zugebracht. Bocksburg war in seinen Augen immer kaum besser als ein Hinterwäldlerdorf gewesen. Ich versuchte, mir ihn als Knaben vorzustellen, der im Herbst gezwungen wurde, all dies zu verlassen, um in eine zugige Burg auf einem von Regen gepeitschten und Stürmen umtosten Felsen über einem schäbigen Hafenstädtchen zurückzukehren. Kein Wunder, dass er seinen Hofstaat hierher verlegt hatte, sobald es möglich war. Plötzlich empfand ich so etwas wie Verständnis für Edel, was mich zornig auf mich selbst machte. So gut es ist, genau über einen Mann Bescheid zu wissen, den man töten will, so schlecht ist es, seine Beweggründe zu verstehen. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie er seinen eigenen Vater ermordet hatte, meinen König, und verschloss mich der Anwandlung, in Edel etwas Menschliches zu sehen.
Auf meinem Weg durch diesen wohlhabenden Bezirk erntete ich mehr als nur einen mitleidigen Blick. Hätte ich die Absicht gehabt, durch Betteln zu Geld zu kommen, wäre ich hier am rechten Platz gewesen. Doch mein Ziel waren die schlichteren Gegenden, wo ich von den einfachen Leuten vielleicht etwas über Edel erfahren konnte, über die Zustände in der Burg und mögliche Wege, unbemerkt hineinzugelangen. Ich schlug die Richtung zum Fluss ein, um mich auf vertrauterem Terrain zu bewegen, und entdeckte den Grund für Fierants Größe und Blüte.
Der Vin war hier so breit, dass das gegenüberliegende Ufer im Dunst verschwand. Die sich kräuselnde, von ausgedehnten Sand- und Geröllbänken unterbrochene Wasserfläche schien bis zum Horizont zu reichen. Nur im Frühjahr, während der Schneeschmelze in den Bergen, wurde der Vin zu einem reißenden Strom, der sein Flussbett ganz ausfüllte. Ich sah, wie Vieh- und Schafherden an dieser Furt über den Vin getrieben wurden, während
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