Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
aus den Bock’schen Provinzen. Aber dort herrschen schwere Zeiten.« Eilfertig riss ich das Tuch vom Kopf, zerknüllte es und drehte es zwischen den Händen. Merles Rat, mir das Haar zu färben, hatte ich nicht befolgt, denn damit ließ sich nur auf größere Entfernung jemand täuschen. Aber ich hatte meinen Spiegel genommen und einen guten Teil der weißen Haare ausgezupft. Nicht alle, doch was davon noch übrig war, erinnerte bestimmt nicht mehr an die weiße Strähne. Kujon kam um das Feuer herum. Ich zuckte zusammen, als er mir ins Haar griff und meinen Kopf nach hinten zog, um mir ins Gesicht zu starren. Er war so groß und muskulös wie in meiner Erinnerung. Alles fiel mir wieder ein - sogar sein Geruch. Dabei wurden mir die Knie weich.
Ich ertrug seine Musterung, ohne mich weiter zu rühren, und ich hütete mich, ihm in die Augen schauen, sondern ließ wie hilfesuchend den Blick zur Seite wandern. Madge war von irgendwoher aufgetaucht und beobachtete das Geschehen mit vor der Brust verschränkten Armen.
»Du hast eine Narbe an der Wange, sehe ich das richtig, Mann?«
»Ja, Herr, das ist richtig. Als Junge bin ich von einem Baum gefallen und...«
»Dabei hast du dir auch die Nase gebrochen?«
»Nein, Herr, nein, das war bei einer Schlägerei in einer Schänke, ungefähr vor einem Jahr...«
»Zieh dein Hemd aus!«
Ich gehorchte ihm. Für den Fall, dass er sich meine Arme ansehen wollte, hätte ich meine Geschichte von dem Nagel parat gehabt, doch er beugte sich vor und musterte mich in der Beuge zwischen Schulter und Hals, wo mir vor langer Zeit in einem Kampf ein Entfremdeter ein Stück Fleisch herausgebissen hatte. Er betrachtete sich die wulstige Narbe, dann warf er den Kopf zurück und lachte.
»Verdammt! Ich war mir wirklich nicht sicher, Bastard, ob du es bist. Eigentlich war ich mir sogar sicher, dass du es nicht bist. Aber das ist die Narbe, die ich gesehen habe, als ich dich das erste Mal zu Boden schlug.« Triumphierend schaute er seine Leute an, die um uns herum dastanden. »Er ist es! Wir haben ihn erwischt. Die Gabenzauberer des Königs suchen das ganze Land nach ihm ab, und er fällt uns in die Hände wie eine reife Frucht.« Er musterte mich von Kopf bis Fuß und leckte sich dabei die Lippen. Ich spürte einen seltsamen Hunger in ihm, eine Begierde, die er beinahe zu fürchten schien. Unvermittelt packte er mich am Hals und zog mich zu sich empor, bis unsere Gesichter sich fast berührten.
»Versteh mich recht: Verde war ein Freund. Es sind nicht die hundert Goldstücke Belohnung, die mich davon abhalten, dich hier und jetzt zu töten. Es ist allein die Überzeugung, dass mein König weit bessere Mittel als ich zur Hand hat, um dir vor deinem Tod das Leben noch zur Hölle zu machen. Du wirst aber bald wieder mir gehören, Bastard, wir sehen uns wieder im Rund. Oder ich zumindest so viel von dir, wie mein König mir von dir übrig zu lassen beliebt.«
Kujon stieß mich heftig von sich weg, so dass ich rückwärts durch das Feuer stolperte und auf der anderen Seite in die Arme von zwei Soldaten fiel. Ich schaute wild von einem zum anderen. »Das ist ein Irrtum!«, rief ich. »Ein furchtbarer Irrtum!«
»Legt ihn in Eisen!«, befahl Kujon grimmig.
Dann trat Madge plötzlich nach vorne. »Ihr seid sicher, was diesen Mann betrifft?« In ihrer Stimme lag die Macht von Entschiedenheit.
Er antwortete ihr auf gleicher Augenhöhe. »Ich bin mir ganz sicher. Er ist der Bastard und er verfügt über die verwerfliche Alte Macht.«
Ein Ausdruck tiefsten Abscheus zog sich über ihr ganzes Gesicht. »Dann könnt ihr ihn haben und euch meinetwegen an ihm erfreuen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich.
Die Soldaten, die mich festhielten, hatten mehr auf den kurzen Wortwechsel geachtet als auf ihren vor Angst schlotternden Gefangenen. Ich setzte alles auf eine Karte, riss mich los, rammte mit der Schulter den verdutzten Kujon zur Seite und flüchtete wie ein Hase hakenschlagend durch das Lager, vorbei am Wagen der Kesselflicker hinein in das diffuse Grau der Morgendämmerung, das sich über die tellerflache Ebene der Landschaft nach allen Seiten hin bis zum Horizont erstreckte. Hier hatte ich keine Deckung, fand kein Schlupfloch, hier galt es einfach draufloszulaufen und die Flucht ergreifen.
Ich hatte mit Verfolgern gerechnet, zu Fuß oder zu Pferde, aber nicht mit einem Mann mit einer Schleuder. Der erste Stein traf mich auf das linke Schulterblatt und lähmte meinen Arm. Der
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