Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Kräfte und machte mich daran, mir einen Überblick über meine nähere Zukunft zu verschaffen. Als Erstes durchsuchte ich den toten Kujon. In dem Beutel an seinem Gürtel fand ich Burrichs Ohrring und nahm mir, so merkwürdig es scheinen mag, gleich darauf die Zeit, ihn in meinem Ohr zu befestigen, um ihn nicht zu verlieren. Auch meine Gifte befanden sich in Kujons Tasche, doch leider nicht der Schlüssel zu meinen Fesseln. Ich trennte meine Besitztümer von den seinen, aber die Sonne brannte bereits unbarmherzig vom Himmel herunter, so dass ich seinen Beutel einfach nur an meinen Gürtel hängte. Was immer sich darin befand, es gehörte jetzt mir. Hat man einen Mann schon einmal vergiftet, überlegte ich mir, dann kann man auch seine Leiche fleddern. Mein Leben hatte allmählich kaum noch etwas mit irgendwelchen Ehrbegriffen zu tun. Ich vermutete, dass derjenige, der mich in Eisen gelegt hatte, wahrscheinlich auch die Schlüssel zu meinen Ketten bei sich trug. Ich schleppte mich also zu dem nächsten Toten, doch in seinen Taschen fand ich nichts weiter als etwas Rauchkraut. Entmutigt blieb ich neben ihm sitzen, bis das Knirschen stolpernder Schritte mich veranlasste, den Kopf zu heben. Ich war von der Sonne geblendet, weshalb ich die Augen zusammenkniff. Der Junge kam langsam und schwankend auf mich zu. In einer Hand hielt er einen Wasserschlauch, in der anderen hielt er so, dass ich ihn sehen konnte, den Schlüssel.
Einen Steinwurf von mir entfernt blieb er stehen. »Dein Leben für meins«, krächzte er mir entgegen. Er hatte sichtlich kaum noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Ich antwortete ihm nicht. Er versuchte es erneut. »Wasser und der Schlüssel zu deinen Ketten. Ein Pferd, such dir eins aus. Ich werde dich nicht hindern. Nur nimm endlich deinen Fluch von mir.«
Er sah so jung und bemitleidenswert aus.
»Bitte.«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Es war Gift«, erklärte ich ihm. »Ich kann nichts mehr für dich tun.«
Er starrte mich zuerst verständnislos, dann ungläubig an. »Ich muss also sterben? Noch heute?« Es war nur noch ein mattes Flüstern. Sein düsterer Blick bohrte sich in meine Augen. Ich nickte ihm nur zu.
»Fahr zur Hölle!« Mit letzter Kraft schleuderte er mir diese Worte entgegen und fügte keuchend hinzu: »Dann sollst du ebenfalls sterben. Hier, wo du uns alle hast krepieren lassen.« Er warf den Schlüssel in hohem Bogen von sich weg, lief dann torkelnd auf die Pferde zu, brüllte ihnen heiser entgegen und schwenkte die Arme, um sie auseinander zu treiben.
Die Tiere hatten, ohne angebunden zu sein, die ganze Nacht bei den Menschen ausgeharrt und geduldig darauf gewartet, dass man sie fütterte und tränkte. Es waren gut ausgebildete Militärpferde. Aber der Geruch nach Krankheit und Tod und das völlig unverständliche Benehmen dieses Jungen waren für sie zu viel des Guten. Als er plötzlich mit seinem gellenden Aufschrei mitten zwischen ihnen hinstürzte, warf ein grauer Wallach den Kopf in die Höhe und schnaubte. Ich übermittelte ihm beruhigende Gedanken, doch er hatte seine eigenen Vorstellungen. Er wich tänzelnd zurück, warf sich auf den Hinterbeinen herum und galoppierte davon. Die anderen Pferde folgten ihm mit lautem Hufschlag. Für mich hörte es sich eher an wie eine laut davonziehende Hoffnung.
Der Junge rührte sich nicht wieder, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis er tot war. Ich musste bei meiner Suche nach dem Schlüssel sein ersticktes Weinen ertragen. Lieber hätte ich erst einen vollen Wasserschlauch gesucht, um meinen brennenden Durst zu stillen, doch ich fürchtete, wenn ich der Stelle, wo der Schlüssel hingefallen sein musste, auch nur kurz den Rücken kehrte, würde ich sie in dieser gleichförmigen Landschaft niemals wiederfinden. Also kroch ich auf allen vieren über den sandigen Boden und spähte mit meinem noch relativ heilen Auge nach dem Gegenstand meiner Rettung. Auch nachdem das Weinen des Jungen zu schwach geworden war, um noch bis zu mir vorzudringen, selbst nachdem er tot und es unmöglich war, es überhaupt noch wahrzunehmen, glaubte ich es in meinem Kopf zu hören. Manchmal verfolgt es mich sogar noch heute. Denn es war das sinnlose Ende eines jungen Lebens und ein weiteres Opfer von Edels Rachefeldzug gegen mich. - Oder meines Rachefeldzugs gegen ihn.
Zu guter Letzt fand ich den Schlüssel, gerade als ich dachte, die untergehende Sonne würde ihn für immer meinen suchenden Blicken entziehen. Er war grob und
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