Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
tot«, sagte ich mit gespielter Munterkeit.
»Kaum anzunehmen.« Krähe schüttelte den Kopf und ahnte nicht, wie sehr ihre Worte mich erschreckten. »Du hast erzählt, es sei wärmer unten in der Stadt. Wenn sie sehen, dass ihre Ausrüstung samt dem Proviant verschwunden ist, werden sie dorthin zurückkehren. Dort haben sie Wasser, und ich bin sicher, dass sie nicht ohne ein wenig Proviant losgezogen sind. Wir müssen also nach wie vor mit ihnen rechnen. Was meinst du?«
»Wahrscheinlich schon.«
Nachtauge neben mir setzte sich mit einem verstörten Winseln auf. Ich rang meine eigene plötzliche Verzweiflung nieder und legte ihm dann beruhigend die Hand auf den Nacken. »Ich habe keinen anderen Wunsch«, sagte ich leise, »als einfach nur ungestört schlafen zu können. Allein in meinem Kopf und mit meinen eigenen Träumen, ohne die Angst, mich an einem fremden Ort wiederzufinden oder von bösen Mächten angegriffen zu werden. Ohne befürchten zu müssen, dass der Hunger nach der Gabe mich überkommt. Einfach nur schlafen.« Ich wusste, dass sie mich verstand.
»Dazu kann ich dir nicht verhelfen«, antwortete Krähe bedauernd. »Das Einzige, was ich dir geben kann, ist das Spiel. Vertraue darauf. Es hat Generationen von Gabenkundigen geholfen, solchen Gefahren zu widerstehen.«
Folgsam beugte ich mich wieder über das Tuch und prägte mir die Spielsituation ein, und als ich später neben dem Narren zwischen meine Decken schlüpfte, hielt ich mich daran fest - an der Phalanx der weißen Steine und dem einen schwarzen, der die sichere Niederlage in einen Sieg verwandeln sollte.
In dieser Nacht schwebte ich wie ein Nektarvogel irgendwo zwischen Schlafen und Wachen. Krähes Spiel half mir, mich dort zu halten. Mehr als einmal trieb ich zurück ins Wachsein. In solchen Augenblicken nahm ich den rötlichen Schein über dem Glutbecken wahr und die schlafenden Gestalten neben mir. Einige Male streckte ich die Hand nach dem Narren aus; jedes Mal schien es, als wäre seine Haut kühler geworden, sein Schlaf tiefer. Kettricken, Merle und Krähe hielten abwechselnd Wache. Ich bemerkte, dass der Wolf Kettricken Gesellschaft leistete. Sie trauten mir noch immer nicht zu, lange genug wachsam bleiben zu können, und ich war dankbar dafür.
Kurz vor Anbruch der Dämmerung erwachte ich wieder einmal. Alles war noch still. Ich schaute kurz nach dem Narren und legte mich dann zurück, um noch etwas zu ruhen, doch vor dem dunklen Hintergrund meiner geschlossenen Lider sah ich plötzlich ein riesiges Auge, das mich anstarrte. Von Entsetzen gepackt, kämpfte ich darum sofort aufzuwachen, doch etwas hielt mich in der Tiefe fest, ein Sog wie von einer tückischen Unterströmung. Ich wehrte mich mit aller Kraft. Dicht über mir spürte ich die rettende Wirklichkeit, wie eine Luftblase, in die ich eindringen konnte, wenn es mir nur gelang, sie zu berühren. Doch ich erreichte sie nicht. Ich kämpfte und verzerrte mein Gesicht zu Grimassen, um meine störrischen Lider zu heben.
Das Auge beobachtete mich. Nur ein einzelnes, riesiges, dunkles Auge. Nicht Wills. Edels. Er schaute mich an, und ich wusste, er genoss meine verzweifelte Gegenwehr. Scheinbar mühelos hielt er mich fest, wie eine Fliege unter Glas, doch ich kannte ihn gut genug, um selbst in meiner Angst zu erkennen: Wäre er fähig gewesen, mehr zu tun, so hätte er es ohne Zögern getan. Es war ihm gelungen, meine Schutzwehren zu überwinden, doch viel weiter reichte seine Macht nicht. Er konnte mir nur drohen, aber auch das genügte, um mich mit namenlosem Grauen zu erfüllen.
»Bastard« , sagte er beinahe zärtlich. Das Wort überschwemmte mein Bewusstsein wie eine eisige Meereswoge. Ich war wie durchtränkt von seiner Perfidie. »Bastard, ich weiß von deinem Kind. Und von deiner Frau, Molly. Süße Molly.« Er schwieg, und seine Belustigung wuchs im selben Maß, wie mein Entsetzen zunahm. »Ich erinnere mich an sie, Bastard. Süß wie Honig, duftend wie ihre Kerzen. Sie könnte mir wohl gefallen.«
»NEIN!«
Ich riss mich von ihm los. Dabei spürte ich für einen flüchtigen Augenblick Carrod, Burl und Will im Hintergrund. Dann war der Bann gebrochen, und ich war frei.
Ich fuhr in die Höhe, warf die Decken ab und stürzte ohne Stiefel und Mantel blindlings ins Freie. Nachtauge folgte mir dicht auf den Fersen. Er knurrte und fletschte die Zähne. Der Himmel war schwarz, übersät mit Sternen, die Luft eiskalt. Ich atmete sie in tiefen Zügen ein, um die würgende
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