Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
zielstrebig in Bewegung. Das magere Weibchen blieb zurück, um die Jungen zu beaufsichtigen. Nachtauge zögerte, dann folgte er dem Rudel in angemessener Entfernung.
Von Zeit zu Zeit schaute sich einer der Wölfe nach ihm um. Der große Rüde machte mehrmals Halt, um seine Markierung zu setzen und mit den Hinterläufen den Boden aufzukratzen.
Ich dagegen setzte derweil lustlos Fuß vor Fuß und sah die Nacht um mich herum langsam von ihrem Thron herabsteigen und altern; der Mond zog in kalter Ruhe seine Bahn am sternenklaren Himmel. Ich nahm einen Streifen Trockenfleisch aus meinem Packen und kaute beim Gehen darauf herum. Einmal kniete ich nieder, um von dem kalkigen Wasser zu trinken. Der Vin ließ an dieser Stelle kaum Platz für ein Ufer, weshalb ich gezwungen war, mir oben auf der Böschung einen Weg zu suchen. Als die Morgendämmerung sich ihren Horizont erschuf, suchte ich mir einen Platz zum Schlafen. Auf einem kleinen Hügel rollte ich mich im hohen Gras zusammen. Diese Stelle war ebenso sicher wie jede andere. Hier musste schon jemand über mich stolpern, bevor er mich entdeckte.
Ich fühlte mich sehr einsam.
Mein Schlaf war unruhig. Ein Teil von mir saß irgendwo und beobachtete immer noch aus einiger Entfernung andere Wölfe. So unbeteiligt sie auch taten, so waren sie sich doch meiner Anwesenheit sehr genau bewusst. Vorläufig warteten sie ab. Weil ich Abstand wahrte, fühlten sie sich nicht gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Ich hatte zugesehen, wie sie einen mir ganz und gar fremdartigen Bock rissen. Er schien mir für so viele eine nur kleine Beute zu sein. Ich war hungrig, aber nicht so hungrig, dass ich unbedingt jagen musste. Diese Wölfe waren mir wichtiger als Fleisch. Ich wartete geduldig ab und schaute zu, wie sie einschliefen.
Meine Träume entfernten sich von Nachtauge, wie Motten, die von einem anderen Licht angezogen wurden. Etwas rief mich und zerrte mit schrecklicher Dringlichkeit an mir. Ich leistete dem Ruf nur widerstrebend Folge, war aber unfähig, mich ihm zu entziehen. Ich fand mich wie erwartet ganz woanders wieder, und wie befürchtet, stiegen Qualm und Schreie in einen blauen Himmel über Strand und Meer. Ein weiteres Dorf in Bearns hatte sich vergeblich gegen die Korsaren verteidigt und fiel ihnen zur Beute. Wieder einmal war ich zum Zeugen berufen. In dieser Nacht und in fast jeder der darauffolgenden Nächte wurde mir auf diese Art der Krieg gegen die Roten Schiffe wieder zu Bewusstsein gebracht.
Jede furchtbare Einzelheit daran hat sich mir unauslöschlich eingeprägt. Das Grauen, das Leiden, das Sterben, ich war dabei und durchlebte alles. Sobald ich einschlief, war in mir doch etwas wachen Sinnes, und dies führte mich gnadenlos dorthin, wo meine Landsleute um ihre Häuser und Heimat kämpften und starben. Ich sah mehr von dem Fall von Bearns als jemand, der in dieser Provinz lebte. Es gab für mich kein Entrinnen, und ich durchschaute nicht einmal das Wie und Warum. Möglicherweise schlummerte die Veranlagung für die Gabe in sehr vielen Bewohnern der Sechs Provinzen, und angesichts von Tod und Verderben schrien sie zu Veritas und mir mit Stimmen, von denen sie nicht ahnten, dass sie sie besaßen. Mehr als einmal spürte ich die Gegenwart meines Königs, wie er durch die Gassen der von schrecklichem Grauen heimgesuchten Orte schritt, doch sah ich ihn nie wieder so deutlich wie bei jenem ersten Mal. Später kam es mir in Erinnerung, wie ich einmal durch die Gabe mit König Listenreich verbunden gewesen war, als er den Fall von Syltport miterlebt hatte. Seither beschäftigt mich die Vorstellung, wie oft dieser alte und kranke Mann der Qual ausgesetzt gewesen war, mit ansehen zu müssen, was er nicht verhindern konnte.
Ein Teil von mir wusste, dass ich fern von den brennenden Hütten und dem Gemetzel neben dem Vinfluss lag und schlief, während ich in hohes Riedgras gebettet und von einem frischen Sommerwind umfächelt wurde. Aber das war unwichtig. Was zählte, das war die drängende Wirklichkeit, nämlich das fortdauernde Ringen der Sechs Provinzen gegen den unerbittlichen Feind von den Äußeren Inseln. Jenes namenlose Dorf in Bearns war höchstwahrscheinlich nicht von überragender strategischer Bedeutung, doch in meinen Augen doch ein weiterer Stein, der aus der Mauer bröckelte, in die der Feind eine weitere Bresche schlug. Wenn die Korsaren sich erst an der Küste festgesetzt hatten, würde es uns in alle Ewigkeit nicht mehr gelingen, sie zu vertreiben.
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