Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
verwilderten Beizvogel handelte, der mich erblickt und aus irgendeinem Grund beschlossen hatte, wieder die Gesellschaft des Menschen zu suchen. Bei dem Stück Leder an seinem Bein konnte es sich also um die Überreste seiner Langfessel handeln. Er saß blinzelnd auf meinem Arm und war in jeder Hinsicht ein prachtvolles Tier. Ich hielt ihn ein Stück von mir weg, um ihn besser betrachten zu können. Mit dem Leder war ein Pergamentröllchen an seinem Bein befestigt. »Darf ich mir das ansehen?«, fragte ich. Beim Klang meiner Stimme wandte er den Kopf, und ein glänzendes Auge starrte mich an. Da wusste ich: Es war Terzel.
Altes Blut.
Mehr konnte ich aus seinen Gedanken nicht entnehmen, aber es genügte.
In Bocksburg hatte ich keine gute Hand für Falken gehabt. Burrich hatte mir schließlich befohlen, ihnen nicht zu nahe zu kommen, weil meine Gegenwart sie zu sehr aufregte. Deshalb spürte ich jetzt mit großer Behutsamkeit nach seinem lodernden Bewusstsein. Er schien weder gereizt noch beunruhigt zu sein, so dass es mir problemlos gelang, ihm die kleine Pergamentrolle abzunehmen. Terzel trat auf meinem Arm hin und her und fügte mir mit seinen Krallen neue Wunden zu. Dann breitete er ohne Vorwarnung die Schwingen aus und warf sich wieder in die Luft. Mit kraftvollen Flügelschlägen schraubte er sich steil in die Höhe, stieß noch einmal mit einem hohen ki, ki seinen klagenden Schrei aus und verlor sich dann schnell im Blau des Himmels. Ich blieb mit einem zerschundenen Arm zurück und war verwirrt von der dramatischen Erscheinung dieses Jägers der Lüfte. Ich betrachtete die blutenden Spuren seiner Krallen in meiner Haut, bis mich dann die Neugier dazu veranlasste, den kleinen Zettel aufzurollen. Es waren doch eigentlich Tauben, die Nachrichten überbrachten, und nicht Falken.
Die Handschrift war altertümlich, winzig und krakelig. Vom grellen Sonnenlicht beschienen, waren die mit hauchfeinem Federstrich gemalten Buchstaben noch schwieriger zu entziffern. Ich setzte mich an den Wegrand und beschattete den Brief mit der Hand. Bei den ersten Worten blieb mir fast das Herz stehen. »Altes Blut grüßt Altes Blut.«
Den Rest zu entziffern, damit hatte ich meine liebe Not. Das Pergament war an den Rändern eingerissen, die Rechtschreibung eigenwillig, da mit Worten aus Platzgründen geknausert werden musste. Die warnende Botschaft stammte von Holly. Ich vermutete aber, dass Rolf der Schreiber gewesen war.
König Edel blies jetzt unverhohlen zur Jagd auf die vom Alten Blut. Denen, die man ihm brachte, versprach er eine Belohnung, falls sie ihm halfen, einen Mann zu finden, der mit einem Wolf umherzog. Meine Freunde in Kräheneck nahmen an, Nachtauge und ich wären diejenigen, auf die Edel es abgesehen hatte. Wer sich weigerte, sein Handlanger zu sein, musste damit rechnen, hingerichtet zu werden.
Es stand aber noch mehr in dem Brief: Ich solle meine Witterung an andere des Alten Blutes weitergeben und sie bitten, mich nach besten Kräften zu unterstützen. Der Rest war unleserlich, und ich verstaute den Zettel nachdenklich in meinem Gürtel. Über diesen leuchtenden Tag hatte sich ein Schatten gelegt. Demnach hatte Will Edel verraten, dass ich noch lebte. Und Edels Angst vor mir war noch groß genug, dieses Räderwerk in Gang zu setzen. Vielleicht war es ganz gut, dass Nachtauge und ich uns für eine Zeitlang getrennt hatten.
Als die Dämmerung hereinbrach, erstieg ich eine kleine Erhebung auf der Uferböschung. Vor mir, in der inneren Biegung der nächsten größeren Flussschleife, blinkten Lichter. Vermutlich war dies wieder ein Handelsposten oder die Anlegestelle einer Fähre, die Bauern und Hirten eine gefahrlose Überquerung des Flusses ermöglichte. Ich behielt die Lichter im Auge, während ich darauf zuging. Sie versprachen warmes Essen und Menschen und Unterkunft für die Nacht. Nichts hinderte mich daran, dort eine Rast einzulegen und mit den Leuten ein paar Worte zu wechseln. Immerhin klimperten auch noch ein paar Münzen in meiner Börse. Gleichzeitig hatte ich keinen Wolf mehr an meiner Seite, der mich mit neugierigen Fragen herausforderte, kein Nachtauge, der draußen herumstrich und hoffte, dass die Hunde nicht seine Witterung in die Nase bekamen. Niemand, an den ich denken musste, außer mir selbst. Nun, vielleicht sollte ich mir die Abwechslung gönnen. Vielleicht sollte ich zur Nacht einkehren, einen Becher trinken und mich ein wenig unterhalten. Vielleicht erfuhr ich, wie weit es noch bis
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