Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Still und geordnet eskortierten sie die Leiterwagen mit den Toten. Kettricken ritt an der Spitze. Sie sah müde aus und am ganzen Körper durchgefroren, dies aber auf eine Art, die nichts mehr mit Kälte zu tun hatte. Es drängte mich, zu ihr hinzugehen, doch ich ließ Burrich das ehrenvolle Amt, ihr das Pferd zu halten und beim Absteigen zu helfen. Ich bemerkte frisches Blut an ihren Stiefeln und an Federleichts Flanke - sie hatte nichts von ihren Soldaten zu tun verlangt, was sie selber nicht zu tun bereit war. Jetzt Befahl sie ihnen mit ruhiger Bestimmtheit, sich zu waschen, Haar und Bart zu kämmen und sauber gekleidet in der Halle zu er scheinen. Als Burrich sich entfernte, um Federleicht in den Stall zu führen, stand Kettricken für kurze Zeit allein im Hof. Eine Traurigkeit, die grauer war als alles, was ich je empfunden hatte, strömte mir von ihr entgegen. Sie war müde. So unsagbar müde.
Ich trat zu ihr hin. »Wenn Ihr mich braucht, Hoheit«, sagte ich halblaut.
Sie drehte sich nicht um. »Was jetzt kommt, muss ich selbst tun. Aber bleib in meiner Nähe, falls ich deiner bedarf.« Niemand außer mir konnte die leisen Worte gehört haben. Dann schritt sie durch die Gasse, die sich für sie auftat. Die Köpfe der Leute neigten sich, als sie stumm und mit ernstem Blick für die Hilfe dankte. Schweigend durchquerte sie die Küche und nickte beim Anblick der vorbereiteten Speisen, ging weiter durch die große Halle, wo sie wieder mit einem Kopfnicken ihre Zufriedenheit mit den Vorbereitungen bekundete. In der kleinen Halle blieb sie stehen, um ihre bunt gestrickte Mütze abzulegen und die weiße Jacke, unter der ein schlichtes Hemd aus purpurnem Leinen zum Vorschein kam. Mütze und Jacke reichte sie einem Pagen, der ob der Ehre ganz verstört wirkte. Sie trat an das Kopfende eines der Tische und begann, ihre Ärmel aufzukrempeln. Es wurde sehr still, alle Köpfe in der Halle waren ihr zugewandt. Sie blickte auf. »Bringt unsere Toten«, sagte sie dann einfach.
Die jammervollen toten Körper wurden in einer herzzerreißenden Prozession hereingetragen. Ich zählte nicht, wie viele es waren. Mehr, als ich erwartet hatte, mehr, als aus Veritas’ Meldungen hervorgegangen war. Ich trug Kettricken das Becken mit warmem, nach Kräutern duftendem Wasser nach, als sie von einem Leichnam zum anderen ging, behutsam jedes verhärmte Gesicht wusch und gequälte Augen für immer schloss. Denen, die uns folgten, oblag es, die Toten zu entkleiden, vollständig zu waschen, zu kämmen und in saubere Tücher zu hüllen. Irgendwann bemerkte ich, dass Veritas gekommen war. Er und ein junger Schreiber schritten an den Aufgebahrten entlang, schrieben die wenigen bekannten Namen auf und machten über die anderen jeweils einen kurzen Vermerk.
Einen Namen konnte ich beisteuern. Kerry. Das Letzte, was Molly und ich seinerzeit von unserem Freund gehört hatten, war, dass er als Lehrling eines Puppenspielers Burgstadt verlassen hatte. Nun war er selbst am Ende seines Lebens wenig mehr als eine Marionette gewesen. Sein lachender Mund war für immer verstummt. Als Knaben hatte wir zusammen Botengänge gemacht, um uns einen oder zwei Heller zu verdienen. Er war dabei gewesen, als ich zum ersten Mal so betrunken war, dass ich mich übergeben musste, und hatte darüber gelacht, bis sein eigener Magen rebellierte. Er war es auch gewesen, der den stinkenden Fisch zwischen Bock und Platte eines der Tische des Tavernenwirts klemmte, der uns des Diebstahls beschuldigt hatte. Nun erinnerte sich nur noch ich unserer gemeinsam verbrachten Zeit. Beraubt eines Teils meiner Vergangenheit und meiner Selbst.
Als wir unsere traurige Arbeit beendet hatten und schweigend auf die Seite an Seite ausgestreckten leblosen Körper blickten, begann Veritas, die Liste unserer Verluste vorzulesen. Dabei handelte es sich überwiegend um kurze Beschreibungen: »Ein junger Mann, dunkles Haar, die Narben eines Fischers an den Händen«, hieß es einmal oder auch: »Eine Frau, lockiges Haar, hübsch, eintätowiertes Zeichen der Gilde der Puppenspieler.« Wir lauschten der langen Aufzählung derer, die von uns genommen waren, und wessen Auge dabei trocken blieb, der hatte ein Herz von Stein. Wir waren jedem einzelnen Freund und Familie, als wir die Toten aufhoben, zu dem Scheiterhaufen trugen und behutsam auf dieses letzte Totenbett legten. Veritas selbst brachte die Fackel, doch er übergab sie der Königin, der die Ehre gebührte. Als die ersten Flammen an den
Weitere Kostenlose Bücher