FKK im Streichelzoo - Roman
die Tür öffne, steht Jean mit zerzausten Haaren vor der Couch und versucht, sein Hemd zurück in die offen stehende Hose zu stopfen. Neben ihm stehen ordentlich aufgereiht seine mir allzu vertrauten schwarz-weißen Mokassins.
»Sorry, ich wollte dich nicht bei … was-auch-immer-du-da-tust stören«, bringe ich meine Entschuldigung vor. Obwohl ich wütend bin, muss ich unwillkürlich über meinen Vorstadt-Navajo schmunzeln. Seitdem er vor einigen Jahren den Schamanismus für sich entdeckt hat, wandelt er auf einem schmalen Grat zwischen gesellschaftlicher Achtung und Ächtung.
Obgleich sein Erscheinungsbild auffällig ist wie das eines dreibeinigen Hundes, geht dennoch eine verschwommene Aura von ihm aus, die nicht zu (be)greifen ist. Jean ist eben nicht das, was man von einem Mann im mittleren Alter optisch erwartet – zumindest in meiner Vorstellung: gepflegte Halbglatze, gestutzter Schnauzbart, Bauchansatz, vom vielen Waschen ausgeblichene Flanellhemden und senfgelbfarbene Cordhosen, die von ausgeleierten Hosenträgern gehalten werden.
Jean hingegen sieht aus wie ein indianischer Lude auf LSD: staubgrauer Pferdeschwanz, Wildleder-Mokassins unter einer engen Röhrenjeans und darüber ein bis kurz über den Bauchnabel aufgeknüpftes Baumwollhemd mit bunten geometrischen Mustern auf der Schulterpartie und langen ledernen Troddeln, die davon herabhängen.
»Na?«, fragt er, als er hinter seinem monströsen Chefschreibtisch aus dunklem Mahagoniholz Platz nimmt.
»Na«, erwidere ich ebenso wortkarg und bleibe aus Protest mitten im Raum stehen. Den BUNDESPOLIZEI-Beutel, in den ich inzwischen auch den restlichen Kofferinhalt gestopft habe, stelle ich anprangernd vor mir auf den Boden.
Obwohl ich schon oft hier gesessen habe, lasse ich meinen Blick in stillem Erstaunen durch den Raum huschen. Mir ist kein Büro bekannt, das auch nur ansatzweise dem Einrichtungsstil von Jean gleicht. Dabei ist der Blickfang nicht der große Schreibtisch, sondern die Couch. Ein dunkles lilafarbenes Monstrum mit Bezügen aus Samt. Das wirklich Auffällige aber sind die eingefassten Applikationen aus echten Swarovski-Strasssteinen. Zweifellos würde sich jeder Pornoproduzent die Finger nach einer derartigen Besetzungscouch lecken.
Jean, der Harald Glööckler der Erotik – the Prince of Pornöös.
Davor befindet sich auf einem bunten Tibetaner-Teppich ein kniehoher Tisch, dessen ovale Glasfläche auf dem Rücken einer gebückten nackten Frauengestalt aus Messing liegt – eine gewagte Interpretation der Loreley, wie mir Jean einmal verraten hat. Kunst hin oder her, bei ihrem Anblick schreit mein ausgeprägtes Verständnis für die Frauenrechtsbewegung auf.
Auf dem gegenüberliegenden Unterschrank steht ein zweigeteiltes Sammelsurium. Die eine Seite besteht aus Bildern und Erinnerungsstücken, aufgereiht wie die Trophäen eines Fußballbundesliga-Vereins. Unzählige ausgeblichene Fotos und Polaroids zeigen eine jüngere Version von Jean mit Minipli auf dem Kopf und leicht bekleideten Damen im Arm. Vermutlich Pornostarlets aus einem anderen Jahrhundert.
Die andere Hälfte des Unterschranks hat die Anmut eines Opfertisches einer längst vergangenen Maja-Epoche: Trommel, Federn, Rassel, Traumfänger und die Büste eines grimmig dreinblickenden Indianerkopfes sind darauf versammelt.
»Siehst gut aus«, stellt Jean fest. Dabei fischt er ein Zippo aus der Brusttasche und lässt die auf dem Schreibtisch stehenden Hölzer im Räucherschälchen aufglimmen. Sofort breiten sich schwere, nach Weihrauch riechende Rauchfahnen aus. Der Blick meines Agenten streift kurz mich, dann die vor mir stehende Plastiktüte.
»Setz dich doch«, fordert er mich auf.
Ich schüttele den Kopf. Ein wenig bin ich enttäuscht. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Eine Umarmung? Ein Lächeln? Zumindest ein kleiner Anflug von Freude in seinem wettergegerbten Gesicht wäre schön gewesen. Immerhin bin ich der einzige Klient in seiner Kartei. Und als könnte er Gedanken lesen, sagt er: »Gut, dass du wieder da bist. Ich hab hier noch ein paar Verträge herumliegen, die du unterschreiben musst. Außerdem müssen wir uns noch einmal dringend über meine Provision unterhalten.«
»Erst einmal gilt es Dinge klarzustellen«, bremse ich seinen Enthusiasmus aus und schlage mir innerlich auf die Schulter. Das klang gut. Souverän. Cool. Undurchschaubar. Wie der Pate.
»Was’n für Dinge?«, fragt Jean platt, der meine Verwandlung in einen Mafioso offenbar nicht
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