FKK im Streichelzoo - Roman
gesprochenen …«
Sympathie bezeugendes Gelächter erklingt.
»… deshalb möchte ich gleich beginnen und ein Kapitel aus meinem neuesten Roman Mörderische Schatten über Andromeda vorlesen. Es ist, wie ich finde, ein repräsentativer Höhepunkt der epochalen Aufbereitung intergalaktischer Differenzen, wie sie Jerry Lightning groß gemacht haben.«
Zustimmendes Raunen.
»Gut. Wenn es dann keine weiteren Fragen gibt …«
Was für ein Quatsch, wer soll schon fragen? Und vor allem: was?
Ich muss pinkeln.
»… beginne ich jetzt.«
Das Publikum lauscht gebannt, während ich mich durch das Manuskript kämpfe. Auf den ersten Seiten klinge ich noch wie bei einem Vorlesewettbewerb in der Grundschule (allerdings wie einer der Teilnehmer, die mit den Legasthenikern um die hinteren Plätze wetteifern), aber im Laufe der Zeit werde ich immer selbstsicherer und lasse es mir nach einer guten Viertelstunde nicht nehmen, einige Szenen frei zu interpretieren, um Blickkontakt zu meinen Zuhörern herzustellen. Als ich mich dem Schluss nähere, dem letzten Akt, in dem es in einer ausschweifenden Weltraumschlacht Jerrys geliebte zweizüngige Ehefrau erwischt, sehe ich sie der Reihe nach die Taschentücher zücken. Die Dämme brechen endgültig, als Jerry seinen Halbsohn, sein eigen Fleisch und Blut, aus den Trümmern des havarierten Raumschiffes birgt und dieser sich in dessen Armen hustend, röchelnd und sterbend aus der Serie verabschiedet – Bugs-Bunny-mäßig mit dem Schlussakkord in Moll.
Für meinen Geschmack geht die zweieinhalbstündige Lesung viel zu schnell vorüber. Umso langatmiger gestaltet sich die anschließende Signierstunde. Diszipliniert stehen ausnahmslos alle Lesungsbesucher in einer Schlange und wollen neben dem Roman auch ausgesuchte Jerry-Lightning- Exponate signiert haben: T-Shirts, Zinnfiguren, Bettwäsche. Während des Unterschreibens prasseln die Fragen nur so auf mich ein.
»Wo nehmen Sie nur all diese fantastischen Ideen her?«, fragt mich ein Herr im Alter meines Vaters.
»Das meiste gibt ja das Exposé vor«, erkläre ich bescheiden.
Ein anderer meint: »Ich habe all Ihre Romane gelesen!«
»Ach, Sie waren das!«
Gelöstes Gelächter.
Während die Schlange träge an mir vorbeizieht, verkrampft meine rechte Hand immer mehr. Mein Mund ist vom vielen Reden unangenehm trocken geworden. Ich verfluche die Bibliothekarin, die nicht im Traum daran denkt, mir das Wasserglas erneut aufzufüllen.
»Und auf welchen Namen soll die Widmung lauten?«, frage ich zum gefühlt dreiundachtzigmillionsten Mal. Mittlerweile ist mein Nacken von der gebückten Haltung so schwer geworden, dass ich es nicht einmal mehr schaffe aufzublicken. Ein Mann Mitte fünfzig in einem gut sitzenden dunklen Anzug, den beigefarbenen Trenchcoat und einen senfgelben Angoraschal über den Arm gelegt, steht vor mir und hält eines meiner neueren Hefte in der Hand.
»Wissen Sie, ich lese die aktuellen Ausgaben ja nur noch sporadisch«, erklärt er sich. »Ich sammele sie zwar eifrig, zum Lesen komme ich aber kaum noch.«
»Das ist aber schade.«
»Na ja, irgendwie wiederholt sich ja doch alles.« Seine Unterlippe schiebt sich kurz über die Oberlippe. »Man kann das Universum schließlich nicht neu erfinden, nicht wahr? Aber toll, dass sich auch so junge Leute wie Sie für diese fantastische Serie begeistern können. Sagen Sie, müssen Sie als Autor nicht jeden Roman der Reihe in- und auswendig kennen, um mitschreiben zu können?«
»Nein, ganz so ist es nicht. Man sollte sich aber schon extrem gut im Jerryversum zurechtfinden.«
»Aber Sie haben sie alle gelesen?«, hakt er nach.
»So gut wie, ja«, lüge ich. Außer dem Chefredakteur Schrägstrich Exposé-Autor selbst gibt es vermutlich keinen anderen Menschen auf der Welt, der alle eintausendachthundertundschlagmichtot Jerry-Lightning- Romane gelesen hat.
»Ja, ja, klingt einleuchtend«, findet er. In der nächsten Sekunde stiehlt sich ein Glanz in seine Augen, der mich unruhig werden lässt. »Sie als Profi können mir doch sicherlich sagen, was aus den Keptraken geworden ist?«
Als hätte ich es geahnt. Du sollst nicht lügen. Nie. Auch nicht ein bisschen. Schon als ich »So gut wie, ja« gesagt habe, war mir bewusst, dass das böse enden kann, und nun konfrontiert mich der Kerl doch tatsächlich mit einer Frage, auf die ich natürlich keine Antwort weiß.
Ich sehe ihn an, mit großen Augen. Die Schweißporen in meinen Handflächen starten ihre
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