Flachskopf
seien.
Beim Mittagessen saß er zwischen seinem Vater und Nandus, und während die anderen sich über die lange Trockenheit und die schöne Heuernte dieses Jahres unterhielten, dachte er nach, wie er den Nachmittag verbringen könnte. Er mußte jetzt mit auf die Wiese, das ließ sich nicht umgehen. Aber es war drüben im Bruch, und er würde schon Mittel und Wege finden, auszureißen. »Unser Flachskopf«, sagte die Mutter plötzlich, »muß heute nachmittag zu Hause bleiben und das Kind hüten .«
Flachskopf verschluckte sich beinahe. Das war eine Bescherung! Den lieben langen Nachmittag bei so einem Schreihals hocken zu müssen! Er blickte so böse und entmutigt über den Tisch hinweg nach der Wiege, daß Nandus ihn fragte: »Du tust es wohl nicht gern ?«
»Warum kann man es nicht auf die Wiese mitnehmen ?« fragte Flachskopf.
»Da ist es viel zu heiß für so ein kleines Würmchen«, sagte die Mutter.
»Und schreien tut es überhaupt nicht, wenns das Bäuchlein voll hat«, fügte Jo hinzu.
»Unser Flachskopf wird ihm schon einen Nutsch geben, wenns schreit«, lachte Heini, aber Flachskopf fuhr ihn giftig an: »Dein ganzes Gesicht sieht aus wie so ein Nutsch !« Worüber die lustige Jo so unbändig zu lachen anfing, daß Nandus ihr auf den Rücken klopfen mußte , um sie zu beruhigen.
Die Mutter erzählte nun natürlich eine ganze Reihe von Geschichten über Säuglinge und Kindererziehen, wobei sie immer wieder auf Flachskopf zu sprechen kam und unter anderem mitteilte, daß er keine fünf Minuten trocken gelegen und zweimal seinen Zuckernutsch verschluckt hätte.
Es war ein Glück, daß Locke oder Dabbe das nicht gehört hatten; sie hätten Flachskopf sein Leben lang »Zuckernutsch« genannt.
Die Mittagszeit war nur kurz, denn der Fuhrmann wollte gegen ein Uhr mit Pferd und Wagen im Bruch sein. Für eine Pause war jetzt keine Zeit; die Männer machten ein Kreuzzeichen und zogen dann mit Harken und Gabeln auf die Wiesen. Jo trödelte noch ein wenig bei der Wiege und ging dann den anderen nach. Die Mutter mußte erst die Kühe melken, und als sie damit fertig war, gab sie Flachskopf noch den strengsten Befehl, »mit dem Kind keine Dummheiten anzustellen, er würde auch am Sonntag einen Groschen bekommen«, was Flachskopf jedoch nicht glaubte. Gegen vier Uhr würde sie wiederkommen, um Kaffee zu holen, und Ännchen dann eine Flasche geben.
Flachskopf schnüffelte geraume Zeit in der Wohnstube herum. Er fand es doch herrlich, einmal ganz allein zu Haus zu sein und in allen verborgenen Ecken, Laden und Schubkästen ungestört herumkramen zu können, was sonst streng verboten war. In der weißen Truhe, die in der kleinen Kammer stand, in der seine Mutter ihren ganzen Krempel, ihre Sonntagsmütze und ihr seidenes Kopftuch aufbewahrte, fesselte ihn vor allem die große Pappschachtel. Darin lagen das Familienstammbuch, ein Bild seiner Tante aus Löwen, ein Sparkassenbuch, zwei Erstkommunion-Andenken, Kaufverträge und andere Dinge, die Flachskopf einer eingehenden Prüfung unterzog, ohne viel davon zu begreifen. Als er alles, so gut es ging, wieder hingelegt, wo es gelegen hatte, bemerkte er in einer Ecke der Schachtel ein kleines, in weißes Papier gewickeltes Päckchen, und als er es aufmachte, fiel eine kleine Kindermütze aus weißen Spitzen heraus. Flachskopf war sehr erstaunt. Das gehörte doch nicht Ännchen! ... Nein, wahrhaftig... das war von ihm, als er noch klein war. Er ließ den Deckel der Truhe zufallen, stellte sich in der Stube vor den Spiegel und setzte die Mütze auf den Kopf. Donnerwetter, sah das drollig aus! Sie bedeckte kaum die Hälfte seines Kopfes, und die weißen Borsten bohrten sich überall durch die Löcher der Spitzen. Flachskopf fing laut zu lachen an, so...
Bums! da ging die Tür auf, und der Dorfpolizist trat ein...
»Ist dein Vater zu Hause, Flachskopf ?«
»Nein, Herr Wachtmeister, im Bruch beim Heu!«... Er hatte blitzschnell die Mütze in seine Hosentasche gestopft.
Der Polizist blickte ihm scharf in sein rotes, verwirrtes Gesicht und ging dann wieder weg.
Ännchen war von dem Lärm wach geworden und fing an fürchterlich zu schreien. Flachskopf versuchte, die Kleine zu beruhigen, so gut er konnte, nannte sie »mein Luderchen« und »mein Herzblättchen«, aber Flachskopfs Freundlichkeiten bewirkten nur, daß Ännchen die höchsten Schreitöne erreichte. Schließlich verfiel Flachskopf darauf, Gesichter zu schneiden, und siehe da, das nützte. Ännchen guckte erst mit
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