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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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und Rasiermesser zu holen. Als sie damit zurückkehrte, blickte er ihr so argwöhnisch entgegen, dass sie wie ein kleines Mädchen kichern musste. Jonathan fand das einfach hinreißend.
    „Oh, nur keine Angst“, tröstete sie. „Ich schlitze Euch schon nicht die Gurgel auf. Ich habe Eben sehr oft rasiert, und dabei ist nie Blut geflossen.“ Sie setzte sich mit dem Hocker hinter das Kopfende der Rollpritsche und steckte das Handtuch unter Jonathans Kinn fest.
    Er genoss es, wie sie sich dabei von hinten über ihn beugte. Er sah ihr weiches Gesicht verkehrt herum über sich und beobachtete, wie sie in ihrer Konzentration die Lippen schürzte.
    Das erinnerte ihn an die vergangene Nacht und daran, wie er sie geküsst hatte. Würde das jetzt, da er einen klaren Kopf hatte, ebenso erfreulich sein?
    Er konnte sich an andere Damen erinnern, an lachende, hübsche Gesichter und an willige Körper, doch an keine, an der ihm besonders gelegen hätte, und ganz gewiss an keine, die wie Demaris Allyn gewesen wäre.
    „Was für ein Datum ist heute?“, fragte er unvermittelt, weil er sich von dem süßen Duft ihrer Haut ablenken wollte. „Der siebte des vierten Monats, ein Erster Tag.“
    „Das heißt, Sonntag, der siebte April, ja?“
    Demaris nickte. „Ja, nach dem weltlichen Kalender. “ Sie rührte den Seifenschaum an.
    „Für Leute, die sich der Schlichtheit rühmen, macht ihr Quäker die Dinge ziemlich kompliziert. “
    Dergleichen Kommentare hatte Demaris schon zu oft gehört, als dass sie sich noch darüber aufregte. „Und Ihr müsst aus Massachusetts stammen, wenn Ihr besser als andere beurteilen könnt, was richtig und was falsch ist.“
    Er runzelte die Stirn und versuchte angestrengt nachzudenken. „Wisst Ihr genau, dass ich dorther komme?“
    „Nein. Nur sprecht Ihr wie jemand aus Boston.“ Sie verteilte die Seife auf seinem Bart. „Und jetzt haltet still, oder Ihr erfahrt, weshalb Barbiere und Bader meistens ein und dasselbe sind.“
    Angesichts der langen Klinge in Demaris’ Hand verzichtete Jonathan auf einen Kommentar.
    „Ich werde Euch jetzt alles berichten, was ich von Euch weiß“, fuhr sie fort. „Möglicherweise erinnert Ihr Euch dann an den Rest.“
    „Ich habe Euch nach einem Sturm am Strand gefunden“, begann sie. „Ich habe Euch hierher auf die Nantasket-Farm gebracht. Wir befinden uns fünf Meilen von Newport entfernt an der Westküste der Insel Aquidneck in Providence Plantations. Ihr trugt nichts bei Euch außer Eurem Taschentuch mit Eurem eingestickten Namen. Nach Euren Händen und den hellen Linien um Eure Augen halte ich Euch für einen Seemann.“
    „Ja, Ihr habt recht! “, sagte er erregt. „Ich erinnere mich an ein Schiff... “
    „Still! Bewegt Euren Mund nicht! “ Strafend blickte sie zu ihm hinunter, und sofort schwieg er. „Da Ihr jetzt im Winter gebräunt seid, wart Ihr vermutlich in der Karibik, und so leicht, wie Euch Befehle von den Lippen gehen, müsst Ihr ein Offizier, wahrscheinlich sogar ein Kapitän sein. Eure Kleidung ist zudem recht kostspielig und nicht die eines einfachen Matrosen.“
    Jonathan dachte über das Gehörte nach. Irgendwie spürte er, dass Demaris recht hatte, doch er wusste nicht, wie und warum. Ja, er war ein Seemann, er hatte sofort gewusst, wo Aquidneck lag, nämlich am Eingang des Rhode-Island-Sunds, und er erinnerte sich genau an seine Abreise von Barbados. Im heißen Sonnenschein hatte er mit nacktem Oberkörper an Deck gestanden, und die Segel hatten sich im Wind gebläht. Nur was war aus dem Schiff und der Besatzung geworden?
    „Was weiter?“, fragte er gespannt.
    „Was weiter?“, wiederholte sie unsicher. Da waren die Kugel, die sie aus seinem Bein geholt hatte, sowie die hellen Narben auf seiner Brust und den Armen, da waren van Veres Warnung und Daniels Gerüchte ...
    Wenn sie ihn jetzt jedoch anschaute und sah, wie er sich bemühte, sich seine Verlorenheit nicht anmerken zu lassen, vermochte sie nicht zu glauben, dass er ihr Schaden zufügen konnte. Dass er nicht konnte oder nicht wollte?
    „Nichts weiter“, antwortete sie fest. „Ich habe einen meiner Pächter in Newport nachfragen lassen. Nach dem Sturm gab es keine als verloren gemeldeten Schiffe und keine weiteren Schiffbrüchigen. Niemand weiß von Euch. Nach Boston habe ich ebenfalls geschickt. Von dort habe ich jedoch noch keine Nachricht erhalten.“
    Sie sagte nichts mehr, sondern konzentrierte sich nur noch aufs Rasieren. Für Jonathan war ihr Schweigen

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