Flagge im Sturm
widerwillig zur Tür hinaus.
Einen Moment stand Roger draußen noch benommen da, schüttelte den Kopf in der Hoffnung, dieser würde dann wieder besser arbeiten, und schwankte schließlich auf sein Pferd zu. Ned hatte gesagt, der schwarzhaarige Mann sei ein Krüppel. Roger hatte indessen noch nie einen Krüppel gesehen, der so hart zuschlagen konnte.
Nachdem der Mann auf der Beerdigung erschienen war, hatte Roger versucht, seinen Namen in Erfahrung zu bringen, doch kein Mensch kannte ihn oder wusste, woher der Fremde gekommen war - an sich eine recht merkwürdige Sache auf einer Insel.
Roger hielt sich am Steigbügel seines Pferds fest und betastete seine blutende Lippe. Nur Demaris’ Einschreiten hatte ihn davor bewahrt, umgebracht zu werden, und dafür hasste Roger sie beinahe ebenso sehr wie den Mann, den sie aufgehalten hatte.
Allerdings besaß er, Roger, gedemütigt wie er war, immerhin so viel Verstand, sich aus dem Staub zu machen, solange ihm das noch möglich war. Außer Fäusten und brutaler Kraft gab es schließlich noch andere Möglichkeiten.
Mühsam hievte er sich in den Sattel. „Überlege dir, was ich gesagt habe, Demaris“, rief er. „Ich werde es nicht wiederholen. Und denke auch über die Folgen nach, falls du ablehnen solltest.“
Jonathans Arm lag schwer und beschützend auf Demaris’ Schultern. „Ihr hättet nicht zum Haus zurückkommen dürfen.“ Sie schlang ihren Arm um seine Taille. „Hat Euch Ruth nicht gesagt, Ihr solltet Euch fernhalten?“
„Hätte ich Euch Allyn überlassen sollen?“ Er hauchte ihr einen Kuss aufs Haar. „Wovon hat er eigentlich gesprochen? Hat er Euch bedroht?“
„Das nicht direkt. Er hat von mir verlangt, dass ich ihn heirate.“
Jonathan fluchte, und zwar lange, wortreich und überaus anschaulich.
Demaris wartete so lange, bis er damit fertig war. Eigentlich begriff sie noch immer nicht ganz, wie er sich so unvermittelt auf Roger hatte stürzen können. Überhaupt verstand sie Jonathans ständige Gewaltbereitschaft nicht - erst bei Hull und Barnum, den beiden Seeleuten in ihrem Obstgar-ten, dann bei van Vere am Strand und jetzt bei Roger.
Das machte ihr angst. Sie bestritt vor sich selbst, dass er der Mörder war, für den er sich hielt, doch wenn sie jetzt daran dachte, wie er ihren Schwager angegriffen hatte, kamen ihr Zweifel.
„Ihr wisst sehr wohl, dass ich seinen Antrag nicht angenommen habe“, sagte sie schließlich. „Ich liebe ihn nicht, und ich will ihn nicht heiraten. Außerdem will ich nicht die zweite Ehefrau sein, die in diesem Haus zu Schaden kommt. “ Stockend erzählte sie Jonathan alles, was am Tage von Evelyns Begräbnis geschehen war, und als er danach wieder fluchte, versuchte sie nicht, ihn davon abzuhalten.
„Hätte ich diesen Bastard doch nur erwürgt, als ich die Gelegenheit dazu hatte!“, rief er wutentbrannt. „Weshalb habt Ihr mir das nicht eher erzählt?“
Demaris seufzte. „Nachdem ich wieder hier bei Euch war, kam es mir nicht mehr so wichtig vor“, antwortete sie leise. „Euch zu lieben, schien mir wesentlich besser, als mich noch weiter mit Rogers Hass zu beschäftigen.“
Wenn sie einen solchen Grund angab, konnte Jonathan doch unmöglich mit ihr böse sein. „Euch zu lieben ist besser als alles andere auf Gottes grüner Erde, mein Herz, doch ein Mann wie Allyn würde das nie begreifen“, erklärte er.
„Ich will nicht, dass Ihr fortan allein irgendwohin geht -nicht in die Felder, nicht zu der Kaverne, nicht an den Strand und ganz besonders nicht nach Newport. Ihr werdet dieses Haus nicht ohne Begleitung verlassen. Versprecht Ihr mir das, Demaris?Versprecht es mir, denn ich liebe Euch.“ Obwohl sie nicht fror, fröstelte es sie, und sie schmiegte sich dichter an Jonathans Wärme. Schließlich nickte sie und hob ihm die Lippen entgegen, um ihr Versprechen mit einem Kuss zu besiegeln.
In den folgenden Wochen fiel es Demaris sehr leicht, ihr Versprechen einzuhalten. Wenn Jonathan nicht selbst bei ihr war, fanden Ruth oder Caleb immer irgendwelche Arbeiten in ihrer Nähe zu tun.
Die Frühjahrsaussaat war endlich abgeschlossen, das Lammen ebenfalls, und beides war so gut verlaufen, dass Demaris Anlass zu der Hoffnung sah, nach der Herbsternte das Schmuggeln aufgeben zu können. Wenn sie allerdings an die Reise nach Providence dachte, war sie beinahe versucht, weiterzumachen.
Roger belästigte sie in diesen Frühsommertagen nicht wieder. Demaris hoffte, dass er ihre Ablehnung akzeptiert und eine
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