Flames 'n' Roses
immer Raquel meine Klamotten gekauft, aber dem hatte ich schon vor Jahren ein Ende gesetzt, um nicht in dunkelblauen Röcken und steifen weißen Blusen zu ersticken. Aber jetzt hier zu sein, die Sachen tatsächlich anprobieren, anfassen und ihre Farben in natura sehen zu können, war tausendmal besser, als bloß mit der Maus draufzuklicken.
Als wir schließlich fertig waren, brachen Raquel und ich fast unter dem Gewicht unserer zahllosen Einkaufstüten zusammen.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wie ich das bei meiner Spesenabrechnung angeben soll.«
»Rechne es doch einfach als therapeutische Maßnahmen ab«, schlug ich vor. Raquel lachte.
Wir steuerten auf den Ausgang zu, als mir ein kleines Lädchen ins Auge fiel. »Oh, Sekunde mal!« Sie stieß einen »Du machst wohl Witze« -Seufzer aus, folgte mir aber dann doch in den Laden für Künstlerbedarf. Ich suchte einen hübschen Skizzenblock und Zeichenkohle aus und nahm zur Sicherheit noch ein paar Bunt- und Pastellstifte dazu.
»Neues Hobby?«, fragte Raquel, während sie für alles bezahlte.
»Ach, ich dachte mir, ich gönn meiner Wand mal ’ne Pause.« Sie hatte zwar immer geduldig über meine künstlerischen Ausschweifungen hinweggesehen, aber ich wusste genau, dass sie nicht begeistert davon war.
Wir verließen das Einkaufszentrum und bogen in eine Lieferantenzufahrt ab. Als sie sicher war, dass uns niemand beobachtete, bat sie um Abholung und sofort erschien eine Pforte. Ich nehme mal an, das war einer der Vorteile, Raquel zu sein – bei mir dauerte das immer ein paar Minuten. Dieselbe Fee, die mich hier abgesetzt hatte, trat heraus und nahm uns bei den Händen. Man hätte annehmen können, dass sie wegen meiner Lüge sauer gewesen wäre, aber Feen interessieren sich nun mal nur für das, was sie interessiert – wenn ihr versteht, was ich meine. Sie würdigte mich noch nicht mal eines zweiten Blicks.
Wieder in der Zentrale angekommen, half Raquel mir dabei, den ganzen Kram in mein Zimmer zu schleppen. Als wir die Tüten abgeladen hatten, legte sie mir die Hand auf die Schulter und sah mich eindringlich an. »Alles okay?«
Ich lächelte. »Klar, alles gut.« Sie schien zufrieden und ging. Mein Lächeln fiel in sich zusammen. Gar nichts war okay und ich hatte auch keine Ahnung, ob es das je wieder sein würde.
Ich hab dich durchschaut
Am nächsten Morgen war ich immer noch mies drauf. Auch ein nächtlicher Easton Heights- Marathonhatte mich nicht aufheitern können. Im Gegenteil, irgendwie fühlte ich mich dadurch nur noch schlechter. Ich wusste ja, dass das nicht das echte Leben war, aber es erinnerte mich trotzdem an all das, was ich nie haben würde: Abschlussbälle, Zickenkriege, beste Freundinnen, die Beine hatten und Luft atmeten, und einen Freund. Ja, besonders einen Freund.
Ich holte mir Lish auf den Bildschirm. »Hat Raquel heute Zeit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie ist gar nicht hier. Noch mehr Besprechungen. Soll ich sie anrufen?«
»Nein, nein, nicht so wichtig. Ich wollte sie nur was fragen, aber das hat keine Eile.« Ich lächelte, winkte Lish zu und schaltete den Bildschirm ab. Dann durchwühlte ich meine Tüten mit den neuen Klamotten und zog schließlich ein Wickelkleid mit Zebraprint und knallrosa Stiefel mit Stilettoabsätzen an. Gut, vielleicht war ich ein klitzekleines bisschen overdressed, aber wenn man an einem Ort lebte, wo alles weiß war, musste man manchmal eben selbst etwas Farbe ins Spiel bringen. Allerdings heiterten mich auch die Stiefel nicht so sehr auf, wie ich gedacht hatte. Na ja, immerhin sah ich gut aus.
Ich schnappte mir die Tüte mit den Zeichensachen und wollte gerade gehen, als mir eine bessere Idee kam. Vor ein paar Jahren hatte Raquel mir Inlineskates zu Weihnachten geschenkt. Aber ich hatte ein solches Chaos veranstaltet, als ich durch die Flure gerast war und alles und jeden umgesemmelt hatte, dass sie sie wieder einkassierte. Was ich aber hatte, war mein Schreibtischstuhl mit Rollen. Wenn es mich nicht wenigstens ein kleines bisschen aufmunterte, mit dem Ding durch die Gänge zu kurven, dann war mir wohl nicht mehr zu helfen.
Ich hängte die Tüte über die Lehne des Stuhls und schob ihn raus vor die Tür. Dann nahm ich ein paar Schritte Anlauf und sprang auf. Der Stuhl schoss mit ziemlichem Linksdrall den Flur hinunter, bis ich gegen die Wand krachte. Ich nahm einen Umweg, auf dem ich ein paar sehr befremdete Blicke (und auch ein paar Flüche, wenn die Leute zur Seite hechten
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