Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
der für einen Deal noch 20000 schuldig war. Dann hat gestern jemand im Louis-Armstrong-Park einen schwarzen Straßendealer mit einem Baseballschläger erschlagen. Kommt Ihnen das bekannt vor?«
»Warum sollte er in einen Bundesstaat zurückkehren, wo er bereits zum Tode verurteilt wurde?«
»Es macht für ihn keinen Unterschied, wo er sich aufhält. In drei anderen Staaten laufen Haftbefehle auf ihn, und das FBI jagt ihn, weil er bei seiner Flucht eine Staatsgrenze überschritten hat. Und zweitens geht er dahin, wohin Tony Cardo ihn schickt.«
»Das ist nichts für mich. Sie müssen sich einen anderen besorgen.«
»Das ist Ihr letztes Wort?«
»Jawohl.«
Er betrachtete mich nachdenklich im Mondlicht. Durch das kurzgeschorene Haar sah man seine Kopfhaut durchschimmern.
»Wie fühlen Sie sich?« sagte er.
»Gut.«
»Sie sind ein guter Polizist, Dave. Der beste.«
Nachdem er gegangen war, blieb ich noch eine Weile allein draußen sitzen und versuchte meine Gedanken zu ordnen und klar voneinander zu trennen. Dann gab ich es auf und ging hinein, um mit Alafair am Küchentisch zu Abend zu essen.
So vergingen die Tage, und ich sah zu, wie die Blätter fielen und mein Nachbar sein Zuckerrohr erntete, das jetzt dick und golden und purpurn auf den Feldern stand. Jeden Abend lief ich drei Meilen die unbefestigte Straße hinunter bis zu der Zugbrücke auf dem Bayou. Die Luft brannte kühl auf meiner Haut, und während die Sonne jenseits des abgeernteten Feldes hinter meinem Haus unterging, machte ich in meinem Hinterhof Situps und Klappmesser, stemmte mit dem rechten Arm eine 50-Pfund-Hantel, mit dem linken eine 10-Pfund-Eisenstange und setzte mich anschließend erschöpft und schweißglänzend in das feuchte Gras. Ich merkte spürbar, wie mein Körper heilte. Die Muskeln strafften sich und reagierten im oberen Brust- und Halsbereich allmählich wieder so, wie sie es getan hatten, bevor eine Kugel das Gewebe zerfetzt hatte und es wie ein kaputtes Spinnennetz in sich zusammengefallen war.
Aber wenn ich ehrlich bin, bestand der wahre Zweck dieses harten Trainings darin, meinen Körper so müde zu machen wie nur möglich. Früher empfing ich die Gaben des Morpheus aus Flaschen: Jim Beam und Jack Daniels Black Label, pur, und dazu einen eisgekühlten Krug Jax-Bier. Während ich trank, hatte ich dem Regen zugesehen, der draußen vor dem Fenster einer die ganze Nacht geöffneten Bar nicht weit von der Huey-Long-Brücke im Neonschimmer herunterprasselte. Binnen einer halben Stunde konnte ich die Tür eines Ofens auftreten und all die Schlangen und kreischenden Fledermäuse, die in mir lebten, in die Flammen schleudern. Nur daß sie am nächsten Morgen in der Asche von neuem zum Leben erwachten und wieder zu mir zurückkamen, stinkend und hungrig.
Dieser Tage versuchte ich mein Unterbewußtsein und die Träume, die es mir schickte, mit einem Satz Stemmgewichte, einem Paar Adidas-Schuhe und Sportshorts zu bekämpfen.
Eines Abends, eine Woche, nachdem Minos bei mir erschienen war, holperte dann ein Pickup mit zwei gesprungenen Vorderfenstern, verbeulten Kotflügeln und einer Stoßstange, die wie ein zerschlagener Mund herabhing, über die Unebenheiten der Zufahrt zu meinem Haus. Die Ladeklappe schlug gegen die Kette, mit der sie befestigt war, der rostzerfressene Auspuff röhrte wie ein Rennwagen. Der Kopf von Tante Lemon reichte kaum bis über das Steuerrad; ihr Kinn zeigte nach oben, ihre kleinen Hände umklammerten das Lenkrad, und ihre trüben Augen waren besorgte kleine Punkte, als sie versuchte, sich an den Wurzeln der Pecanbäume vorbeizumanövrieren. Neben ihr saß Dorothea, eine Hand auf das Armaturenbrett gestützt.
»Ich will dir was sagen«, sagte Tante Lemon.
»Komm rein«, sagte ich und hielt ihr die Wagentür auf.
»Das müssen wir nich«, sagte sie.
»Oh doch, das müßt ihr«, sagte ich.
Beide folgten sie mir auf die Veranda. Ich öffnete die Fliegentür. Ich fragte mich, wie oft Tante Lemon das Haus eines Weißen durch die Vordertür betreten hatte. Drinnen angekommen, wollte sich keine von beiden hinsetzen, bevor ich sie nicht dazu aufforderte.
»Was gibt’s?« sagte ich.
»Frag’ sie«, sagte Tante Lemon.
Ich blickte zu Dorothea. Sie trug ein orangenes Polyesterkleid und ein Strohhandtäschchen, aber ihre schwarzen Pumps waren abgelaufen und staubig.
»Tee Beau sagt, daß er vielleicht herausfinden kann, wo dieser Mann ist«, sagte sie.
»Du hast mit ihm gesprochen?«
Sie senkte den Blick zu
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