Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
jemanden nach, den man im Visier hat.«
»Sie kommen immer schnell zur Sache, Minos.«
»Ich habe die Regeln nicht gemacht. Übrigens lassen wir das Haus rund um die Uhr beobachten. Wenn da drinnen was schiefläuft, schmeißen Sie eine Lampe oder einen Stuhl durchs Fenster. In der Zwischenzeit sollten Sie mal darüber nachdenken, wie weit Sie die Sache treiben wollen. Niemand wird es Ihnen übelnehmen, wenn Sie wieder nach New Iberia zurückwollen.«
Es war kühl unter der Stuckkolonnade, und rotes Laub wehte aus einem dichtbewaldeten Grundstück auf der anderen Straßenseite.
»Dave, sind Sie noch dran?« fragte er.
»Ja... Ich versuche mich heute abend oder morgen wieder bei Ihnen zu melden. Bis später dann, Minos.«
Ich hängte auf und fragte mich, ob Minos wohl einem Löwenbändiger erzählen würde, er könne Stuhl und Peitsche niederlegen und den Löwenkäfig verlassen, wann immer es ihm beliebte. Ich ging in den Drugstore, kaufte ein Päckchen Rasierklingen und verließ das Geschäft genau in dem Augenblick, als Tony und Jess in dem kastanienbraunen Lincoln Cabriolet am Straßenrand hielten.
10. Kapitel
Tony saß auf dem Beifahrersitz. Er faßte nach hinten und öffnete die Hintertür für mich. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt Slipper, ein rostfarbenes Sporthemd, hellbraune Hosen mit scharfer Bügelfalte, eine Strickweste und einen hellgelben Panamahut.
»Sie hätten den Wagen nehmen sollen, Dave. Sie hätten nicht laufen müssen«, sagte er.
»Es ist ein schöner Tag zum Laufen.«
»Wie gefällt Ihnen mein Hut?«
»Schick.«
»Ich hab eine ganze Sammlung. Hey, Jess, geh rein und hol mir die neueste Nummer von Harper’s«, sagte er.
»Was?« sagte Jess.
»Hol mir das neueste Life.«
»Klar, Tony«, sagte Jess, machte den Motor aus und verschwand im Drugstore.
Tony lächelte mich über die Rückenlehne hinweg an. Der Lincoln hatte innen Lederbezüge, eine ausziehbare Bar und ein Armaturenbrett aus Holz mit schwarzen Anzeigetafeln.
»Jess hat einen IQ von minus acht, aber er würde Reißzwecken mit dem Löffel essen, wenn ich es ihm sage«, sagte er. Dann wich das Lächeln aus seinem Gesicht. »Tut mir leid, daß Sie diesen Streit zwischen mir und Clara mitanhören mußten. Es tut mir ganz besonders leid, daß Sie dieses Gewäsch mitanhören mußten, ich sei ein Kriegsheld. Denn das hab ich nämlich niemals behauptet. Ich kannte einige Jungs, die man so nennen konnte, aber ich war keiner.«
Wer war das schon, Tony? Haben Sie je eine Kurzgeschichte von Ernest Hemingway mit dem Titel ›A Soldier’s Home‹ gelesen? Sie handelt von einem Marine im Ersten Weltkrieg, der heimkehrt und entdecken muß, daß die Leute nur wüste Geschichten über deutsche Frauen, die man an Maschinengewehre gekettet hat, hören wollen. Und die Wahrheit ist, daß er die ganze Zeit, die er da drüben war, höllische Angst hatte und seine ganze Kraft dazu aufbringen mußte, es einfach nur zu überstehen. Er muß jedoch erfahren, daß diese Geschichte niemanden interessiert.«
»Ja. Ernest Hemingway. Ich mag seine Bücher. Hab ein paar davon im College gelesen.«
»Okay, wechseln wir mal kurz das Thema, Tony. Ich bin nicht sicher, ob Ihre Frau jetzt gerade in der richtigen Verfassung ist, Gäste im Haus zu haben.«
Er schnaubte.
»Ich lade Leute in mein Haus ein, und ich sage ihnen, wenn sie gehen sollen«, sagte er. »Sie sind mein Gast. Wenn Sie nicht bleiben wollen, ist das Ihre Sache.«
»Ich weiß Ihre Gastfreundschaft durchaus zu schätzen, Tony.«
»Wie wär’s also jetzt, wenn wir wieder ins Haus gingen und Sie sich umziehen, dann könnten wir mit Kim in den Yachtclub gehen, um dort einen kleinen Lunch zu uns zu nehmen und etwas Golf zu spielen. Wie fänden Sie das?«
»Fein.«
»Gefällt Ihnen Kim?«
»Na klar.«
»Wie sehr?«
»Sie ist ein hübsches Mädchen.«
»Sie ist nicht hübsch, Mann. Sie ist eine absolute Schönheit.« Licht tanzte in seinen Augen. »Sie hat mir erzählt, daß sie zuviel getrunken und Sie angemacht hat.«
»Das hat sie Ihnen gesagt?«
»Was ist schon groß dabei? Sie ist auch nur ein Mensch. Sie sind ein gutaussehender Bursche. Aber jetzt gerade gucken Sie ziemlich dumm aus der Wäsche.« Er lachte laut auf.
»Was soll ich sagen?«
»Gar nichts. Sie nehmen das alles viel zu ernst. Es ist alles eine Farce, Mann. Übrig bleibt nur eins: Der Tod dauert richtig lange. Man kann es drehen und wenden, wie man will, das Leben hat einen am Arsch.«
Wir fuhren
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