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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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aus mir rauskriegen.«
    »Apropos Esel, hast du das Klebeband jetzt gefunden? Ich möchte dieses Wunder nämlich genau zur Dämmerung vollbringen, damit sie ihn zwar sieht, aber nicht zu deutlich.« Sie hörte James Madison unten herumrascheln, der wahrscheinlich unruhig und klaustrophobisch wurde.
    »Hier, bitte sehr.«
    »Willst du mir nicht helfen?«
    »Ich muss jetzt duschen. Ich habe, äh, eine Verabredung und will nicht nach Esel stinken.«
    Cams Atem stockte, und sie wartete, bis er wieder normal ging. So, wie Asher das gesagt hatte, traf er sich mit einem Mädchen.
    Es fiel ihr schwer, die anderen beiden beim Essen nicht anzutreiben. Sie versuchte, sich zu bremsen, indem sie jeden Bissen zwanzig Mal kaute, aber bei einem Makkaroniauflauf gab es nicht viel zu kauen, daher probierte sie es mit anderen Methoden, wie ständig zwischendurch die Gabel abzulegen und einen Schluck Wasser zu trinken. Als es so aussah, als wären ihre Mutter und ihre Schwester endlich fertig, räumte sie den Tisch ab und stapelte das Geschirr neben der Spüle. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster, um sicherzugehen, dass James Madison nicht weggelaufen war. Er stand noch da, etwa dreißig Meter weit weg, an einen Baum angebunden.
    Sie hatte ihn mit Mehl bestreut, um ihn weiß zu färben. Er sah ziemlich toll aus, da musste sie sich selbst loben. Die Alufolie um das Horn hatte sie spiralförmig gedreht, es dann mit dem Klebeband an seinem Kopf befestigt und weiß und golden angemalt. Aus der Entfernung konnte man James Madison glatt mit einem untersetzten Einhorn verwechseln.
    »Hey, Perry, du solltest dich mal ranhalten. Das ist eine Menge Abwasch hier«, sagte sie.
    »Was ist denn mit dir los?«, fragte ihre Mom. »Woher dieses plötzliche Engagement für die Hauswirtschaft?«
    »Nur so. Das hat mit Feng Shui zu tun, mit dem Energiefluss. Es gibt nichts Schlimmeres als schmutziges Geschirr, weil das den Energiefluss im eigenen Heim blockiert. Komm schon, ich trockne ab.«
    »Mom, diese Medikamente verändern sie«, sagte Perry. »Jemand sollte die, hm, Dosierung überwachen.«
    Es lag aber nicht an den Medikamenten. Cam fühlte sich ganz rein innerlich, klar in ihren Absichten. So hatte sie sich nicht mehr gefühlt, seit der Krebs ihren Körper angegriffen hatte und die Ärzte mit Unmengen von Chemikalien zum Gegenangriff übergegangen waren. Lange Zeit hatte sie Angst davor gehabt, etwas an sich heranzulassen. Es war zu gefährlich. Doch das hier konnte ihr etwas bedeuten. Es würde ihr etwas bedeuten, Perry glücklich zu machen.
    Zwanzig Minuten später hatte Perry alles Geschirr abgewaschen und mit den Töpfen angefangen, ohne das unübersehbare Einhorn zu bemerken, das direkt vor ihrer Nase am Waldrand stand.
    »Guck mal«, sagte Cam schließlich notgedrungen, »was ist das denn?« Herrgott, musste sie denn alles selber machen?
    »Keine Ahnung«, sagte Perry und beugte sich dichter ans Fenster heran. In dem Moment neigte James Madison elegant wie ein Pferd Kopf und Hals und scharrte mit einem Huf auf dem Boden. Für die Nummer würde er ein Extraleckerli bekommen, nahm Cam sich vor. Guter Junge.
    »Ist das etwa ein Horn?«, sagte Perry. »Mom?«
    »Ach du meine Güte!«, rief Cam aus. »Hol deine Kamera. Wo ist sie?«
    Sie hatte Perrys Kamera und ihr iPhone vorsorglich zwischen den Sofapolstern im Wohnzimmer versteckt. Während Perry danach suchte, rannte sie schnell hinaus auf die Bäume zu. Sie würde gerade genug Zeit haben, James Madison zurück in den Tunnel, unter dem Haus hindurch und zum Strand zu führen. Perry würde nie auf die Idee kommen, dort gleich nach ihm zu suchen, sodass Cam ihn hinaus auf die Mole bringen konnte. Das würde einen magischen Anblick ergeben, und er wäre weit genug weg, um immer noch wie ein Einhorn auszusehen.
    James Madison gewöhnte sich allmählich daran, herumgeführt zu werden. Diesmal brachte sie ihn fast dazu, durch den Tunnel zu traben. Es schien ihm zu gefallen, mal etwas anderes zu tun zu haben, als in seinem Pferch herumzustehen. »Siehst du, wie viel Spaß das macht, etwas mit mir zu unternehmen?«, sagte Cam.
    Sie ließ ihn mit zwei kleinen Äpfeln und einem Zuckerwürfel am Ende der Mole zurück, wo er auf den Steinen herumbalancierte.
    Bevor sie wieder hineinrannte, warf sie noch einen bewundernden Blick auf James Madison. Er ging total in seiner Rolle auf. Die Schnauze in die Luft gereckt, sodass das Horn in der Abendsonne golden glänzte, blickte er aufs Meer hinaus, als

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