Flamme von Jamaika
verbotenen Apfel verführt wurde.
«Nun nimm schon», sagte er noch einmal. «Schmeckt wirklich gut und ist garantiert nicht giftig.»
Als Lena das saftige Fruchtfleisch vorsichtig entgegennehmen wollte, zog er es weg und bedeutete ihr mit einem Nicken, dass er sie mit der Hand zu füttern gedachte. Sie gehorchte, und als sie die Lippen öffnete, schob er ihr das gesamte Fruchtfleisch auf einmal in den Mund. Ihre Zungenspitze streifte seine Fingerkuppen. Ein höchst intimes und zugleich irritierendes Gefühl. Verwirrt wich sie seinem intensiven Blick aus und schaute zu Boden, während sie kaute.
«Es schmeckt wirklich wunderbar», bestätigte sie anschließend seinen fragenden Blick. «Süß und gleichzeitig säuerlich. Es erinnert mich an den Geschmack von Erdbeeren.»
Jess schälte weitere Früchte und gab ihr davon ab. Doch diesmal bestand sie darauf, das Fruchtfleisch selbst mit der Hand entgegennehmen zu dürfen. Während Jess schälte, steckte er sich selbst immer wieder eine Frucht in den Mund und wischte sich den Saft mit dem Handrücken von den Lippen ab. Nach der Mahlzeit wuschen beide ihre Hände im Teich und setzten sich so dicht nebeneinander, dass ihre Arme sich berührten. Nach hinten gelehnt, die Beine locker zu einem Schneidersitz gekreuzt, blinzelte Jess in die Sonne. Dann schaute er sie schief von der Seite an.
«Glaubst du immer alles, was Edward dir sagt?», fragte er provozierend. «Ich dachte, du kannst ihn nicht mehr ausstehen?»
«Kann ich auch nicht», erwiderte sie. «Seit ich ihn mit dieser Sklavin beobachtet habe …» Leicht errötend wich sie seinem prüfenden Blick aus. «Und diese Frau hasse ich auch. Immerhin hat sie sich nicht gewehrt, als er sie wie ein Tier genommen hat. Im Gegenteil, sie schien es zu genießen.»
«Vielleicht hat sie ihre Zustimmung nur vorgetäuscht», gab er leise zu bedenken.
Sein nachdenklicher Blick wanderte in die Ferne, über ein beeindruckendes, grünes Tal hinweg und hin zu einer Gebirgskette, über der sich weitere Sturmwolken zusammenbrauten.
«Meine Mutter hat es nicht genossen, von den Weißen bestiegen zu werden, das weiß ich zufällig. Und trotzdem hat sie gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Es blieb ihr nichts anderes übrig.»
Er lachte unbekümmert, doch das war nur eine Fassade. Seine Augen hatten einen ernsten, beinahe traurigen Ausdruck angenommen. Für einen Moment war Lena schockiert, weil er so offen über die intimen Angelegenheiten seiner Mutter sprach. Dann fiel ihr auf, dass er die Zähne aufeinanderpresste und sein kantiger Kiefer arbeitete, als ob er etwas zerbeißen wolle, und sie ahnte, wie viel Leid und Hass sich in Wahrheit dahinter verbarg.
«Lebt sie noch?»
«Wer?»
«Deine Mutter?»
Er schmunzelte amüsiert, obwohl sie nicht sagen konnte, was an dieser Frage so amüsant sein sollte.
«Ja», bestätigte er ihre Frage. «Und
wie
sie lebt. Sie ist zäh und ziemlich eigenwillig. Ihr weißer Master hat sie beinahe umgebracht, aber nur beinahe. Sie hat dieses Martyrium auf wundersame Weise überstanden und ist nun stärker als je zuvor.»
Lena atmete tief durch. Sie musste erfahren, was man dieser Frau angetan hatte, auch wenn es unangenehm und erschreckend sein würde. Sie wollte verstehen, was den Hass begründete, den man in dieser Enklave den weißen Kolonialherren wie Edward entgegenbrachte.
«Was ist geschehen?», fragte sie leise, bemüht, seinem Blick standzuhalten, damit er spürte, dass sie wahres Interesse an seiner Geschichte hatte.
«Willst du das wirklich wissen?» Er schien überrascht.
«Wenn ich es doch sage.»
«In Ordnung. Wobei ich nur aus meiner Perspektive erzählen kann. Außerdem würde ich dich bitten, mit niemandem darüber zu reden. Es ist sehr persönlich, wenn du verstehst. So wie deine Geschichte mit Edward.»
«Ich schwöre», sagte sie leise und legte die Rechte aufs Herz. «Bei der Seele meiner Mutter. Gott behüte sie im Himmel.»
«Deine Mutter ist tot?» Seine Stirn kräuselte sich.
«Ja, aber schon ziemlich lange», erklärte sie ungeduldig. «Sie starb bei meiner Geburt, ich kenne sie nur von Bildern.»
«Trotzdem tut es mir leid», fügte er kaum hörbar hinzu. «Eine Mutter zu verlieren, ist immer ein schweres Schicksal.»
«Nun erzähl schon», forderte sie ihn auf, «bevor es zu regnen beginnt und du mich in dieses scheußliche Verlies zurückbringen wirst.»
«Ich war acht», begann er tonlos, und sein Blick ging wieder in die Ferne.
«Damals lebten wir auf
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