Flammen der Rache
sich einen Weg bahnte durch das Gewirr von Drähten und Kabeln, umgekippten Betten und Tropfständern, die in bizarren Winkeln in den Raum ragten, um zu dem verwundeten Mädchen und dem sommersprossigen, etwa sechzehnjährigen Jungen zu gelangen, der bei ihr geblieben war.
Mit verständnislosen Mienen kauerten sie völlig zugedröhnt vor der Wand. Genau dieser Anblick war für Lily der Grund gewesen, warum sie anfangs gezögert hatte, sie zu befreien.
Langsam und unaufhaltsam erfasste ihr Verstand diese neue Realität, an der sie beinahe zerbrach. Bruno hatte sich von ihr abgewandt.
Um fair zu bleiben, wurde er natürlich gerade von einem bewaffneten Psychopathen verfolgt. Aber Bruno glaubte, dass Lily ihn in eine Falle gelockt hatte. Dass sie ihn, seine Familie und Freunde verraten und ihn mit voller Absicht King und damit seinem sicheren Tod in die Hände gespielt hatte. Ein ersticktes Schluchzen stieg in ihrer Kehle hoch. Das Zimmer drehte sich um sie und verschwamm. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Also war sie wieder auf sich allein gestellt. Bis ans Ende ihres Lebens. Endlich mal was Neues.
Also weiter. Mit grimmiger Entschlossenheit setzte sie sich wieder in Bewegung. Sie packte den Jungen am Arm und schob ihn in Richtung Tür. Um ihn aufzurütteln, musste sie ihn leicht gegen das Bein treten. Langsam und ungeschickt beförderte sie die beiden Teenager hinaus auf den Flur. Weiter. Zu der großen Treppe, zum Haupteingang. Sie trieb den Jungen und das Mädchen zu einem unsicheren Laufschritt an. Das riesige Foyer lag vor ihnen, erleuchtet durch das Oberlicht, verlockend …
Eine große Hand schloss sich um ihren Oberarm und verdrehte ihn, bis sie einen schmerzerfüllten Schrei ausstieß. Die Hand zog sie ruckartig herum und schmetterte sie gegen die Wand.
Oh Gott … ihr Kopf …
»Wo willst du denn hin?«, knurrte Hobart.
Zoe drehte und wand sich, sie kämpfte um ihre Freiheit. Hobart und Julian waren beim Klang der Schüsse losgerannt und hatten sie gefesselt im Wagen zurückgelassen. Sie wollten King beweisen, wie tapfer, wie loyal sie waren. Aber Zoe kannte die Wahrheit. Es waren Monster. Dämonen.
Die beiden glaubten, dass sie am Ende wäre, aber sie würde sie zerstören und King retten. Zoe dachte an den Abend zurück, an dem sie zusammen zu Abend gegessen hatten und er die Worte rezitiert hatte, die ihr ganzes Universum in einem Feuerwerk der Verzückung hatten erstrahlen lassen.
Die Erinnerung gab ihr Kraft. Sie hatte so viel Liebe in sich, die sie ihm schenken wollte. Doch zuerst musste sie sich seiner würdig erweisen und seine Feinde vernichten.
Sie strampelte die Plane weg, bewegte sich zur Tür und tastete hinter ihrem Rücken nach dem Griff. Sie ging auf, und ihr gefesselter Körper flog ungebremst auf den Zementboden. Der Aufprall erschütterte jede gerissene Muskelfaser, jede entzündete Sehne. Sie stimmten ein gequältes Klagelied an, aber der Schmerz machte Zoe nichts aus.
Sie schlängelte sich durch die riesige Garage und zwängte sich an mehreren Benzinkanistern vorbei, die an der Wand vor der Werkstatt aufgestapelt waren, bis sie die Tischkreissäge erreichte. Sie kämpfte sich hoch und positionierte ihre Fesseln an der Klinge, dann rieb sie die Plastikmanschetten so lange daran, bis sie aufsprangen.
Sie hätte fast geschrien, so schmerzhaft war die plötzliche Blutzirkulation in ihren Händen. Ihre Handgelenke waren aufgeschürft, und Blut tropfte von ihren Fingerspitzen, aber sie war auf einer heiligen Mission. Es musste Blut vergossen werden, um sie zu reinigen und King von ihrer Ergebenheit zu überzeugen. Sie gehörte ihm mit Leib und Seele.
Zoe schnappte sich die Handsäge, schloss ihre feuchten, schlüpfrigen Finger darum und machte sich daran, ihre Knöchel zu befreien.
Sobald sie frei war, tastete sie nach den Pflastern in ihrer Jeanstasche. Eine der Karten war weg. Sie zählte erneut nach. Wie war das möglich?
Egal. Sie würde das später ergründen. Sie pulte drei rote Punkte ab und klebte sie auf ihren Arm. Es war eine hohe Dosis, aber ihr stand eine sehr große Aufgabe bevor. Drei Pflaster würden sie unempfindlich machen – gegen Schmerz und gegen ihre Angst. Gegen alles.
Zwei weitere Schüsse, die in der Ferne ertönten, trieben sie zum Handeln an. Zoe schnappte sich zwei der großen Benzinkanister und rannte ins Haus.
35
Die Kugel streifte die Oberkante von Brunos Ohr und hinterließ einen sengenden Schmerz. Sie schlug ins Gebälk ein und setzte
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