Flammenbraut
genug, dass er sie alle wie Idioten aussehen ließ – wenigstens hätte er ihr noch einen Knochen für ihre Bemühungen hinwerfen können. Der Mann wollte doch sicher geschnappt werden, ansonsten würde er sich nicht an eine Vorlage halten, anhand derer sich Zeit und Ort seiner nächsten Morde bestimmen ließen?
Welcher Mord war der nächste? Ein weiterer Mann, der einzige, den man weit außerhalb des Innenstadtbereichs gefunden hatte, auf der West Side in den Metroparks.
Vielleicht suchte ihn der Mörder in diesem Moment schon aus, schlich sich von hinten an ihn heran, hieb ihm einen Wagenheber über den Schädel oder betäubte ihn mit Chloroform oder bat ihn um Hilfe, weil sein Auto nicht ansprang. Sie hatte keine Ahnung, wie er seine Opfer in seine Gewalt brachte, wusste nicht, wie er sie auswählte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das nächste Opfer retten konnte, das sterben würde, ehe die ersten Sonnenstrahlen den morgendlichen Himmel erhellten.
Sie musste diesen Mörder fassen, wollte mit bloßen Händen das Leben aus ihm herauspressen. Das hatte nichts mehr mit ihrer Faszination für Geschichte zu tun oder damit, dass sie ihren Großvater stolz machen wollte. Sie wollte, dass dieser Mann gestoppt, festgenommen, gefesselt wurde wie ein Kalb und dass man ihn zwang, ihr in die Augen zu sehen.
Die Leute vom Leichenschauhaus, die für ihren Geschmack etwas zu fröhlich waren, hoben den schlaffen Körper in einen weißen Plastikleichensack. Theresa ging die Schienen entlang zu einer Gruppe von Polizisten. Frank hatte den gesamten Güterverkehr durch das Tal gestoppt, damit der Tatort in Ruhe gesichert werden konnte. Theresa hoffte, so bald keinem Zug mehr zu begegnen. Jedes Mal, wenn sie daran zurückdachte, wie nahe sie den vorbeirollenden Rädern gekommen war, verdrängte sie das Bild rasch, bevor es sie überwältigen konnte.
Halogenscheinwerfer hatten das Gelände abwechselnd in hell erleuchtete Abschnitte und tiefe Schatten unterteilt, in denen die Gesichter der Polizisten noch blasser wirkten und das Braun und Grün der Bäume zu diversen Grauschattierungen mutierte. Inmitten der düsteren Szenerie war ein grell leuchtender Fleck zu erkennen, der dadurch nur noch surrealer wirkte.
Ein hellblaues Hemd, fast türkis, schien unter den Lampen beinahe zu strahlen. An einer Schulter war es zerrissen, und das Blut an der Vorderseite wirkte seltsam hell, auch wenn es bereits getrocknet war. Eine Khakihose, ebenfalls zerrissen und blutig, war um und unter das Hemd gewickelt. Ein Gürtel und ein Paar getragene Lederslipper, in denen weiße Socken steckten, waren neben der Hose gelandet. Und dazwischen lag der Kopf. Der dritte körperlose Kopf, dem sie in weniger als einer Woche begegnete.
Das wäre an sich nicht so schlimm gewesen. Das Erschütternde war, dass ihr das Gesicht bekannt vorkam.
Das graue Haar, die eingefallenen Wangen, der struppige Schnurrbart … »Ich kenne ihn.«
»Wie bitte?«, fragte Frank neben ihr. Wie lange stand er da schon?
»Ich kenne ihn. Beziehungsweise habe ich ihn einmal getroffen. Sein Name ist William Van Horn. Er ist der Präsident der American Railroad History Preservation Society. War. Er war der Präsident, die letzten elf Jahre lang, wahrscheinlich nur wegen der Pennsylvania Railroad.«
»Geht es dir gut?«
»Ja.« Ihr war nur wegen des Summens von der Elektrizität an den Schienen und wegen der grellen Lampen schwindelig. »Ich bin nur sehr verwirrt.«
Frank verlagerte sein Gewicht, wobei ein Zweig unter seinem Fuß zerbrach. »Dann wären wir schon zu zweit!«
»Willst du mich nicht fragen, woher ich weiß, dass er Präsident der Preservation Society war?«
»Weil du ihn letztens getroffen und mir davon erzählt hast. Und weil seine Brieftasche das bestätigt.«
»Er hatte einen Ausweis bei sich?«
»Führerschein, einen Mitgliedsausweis dieser Vereinigung, Kreditkarten und zweiundfünfzig Dollar in bar.«
Theresa schüttelte den Kopf, als sie den schweren Blitz auf ihrer Nikon befestigte. »Er macht alles exakt richtig bei dieser Mordserie, bis auf die Sache mit den Opfern und das mit den Ausweisen. Bei keinem der Opfer von damals wurde etwas gefunden, wodurch man auf ihre Identität hätte schließen können, und er hat damals auch keine jungen Mädchen wie Kim getötet.«
»Sie war eine Gelegenheitsprostituierte, wie Flo Polillo«, entgegnete Frank.
»Ja, sah aber vollkommen anders aus. Und bei diesem Opfer hier handelt es sich um einen wohlhabenden
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