Flammenbrut
der Lektüre des Schreibens vermeinte Kate, Redwoods körperlose Stimme zu hören. Sie griff nach dem Telefon, hielt
dann aber inne. Ihr Regenschirm tropfte mit der trägen Beharrlichkeit einer Uhr auf den Boden. Die Fensterscheibe klapperte,
von einer Böe getroffen. Kate ließ den Brief sinken.
Die Tür ging auf, und Clive trat ein. Hastig zog er die Tür vor dem Ansturm der kalten Luft und des Regens draußen hinter
sich zu. Kate richtete sich auf und wollte ihm gerade die Neuigkeit überbringen, als sie seine Reisetasche sah. Dann fiel
ihr Blick auf sein Gesicht.
«Clive? Was ist passiert?»
Er machte keine Anstalten, seinen nassen Mantel auszuziehen. Er stand nur verlegen da und vermied es, sie anzusehen.
«Ich muss nach Newcastle fahren.» Seine Stimme klang rau. «Meine Mutter hat gestern Nacht angerufen. Mein Bruder war in einen
Autounfall verwickelt. Er ist, äh … er ist dabei umgekommen.»
Kate konnte ihn nur anstarren. Das unzureichende
Es tut mir leid
blieb ungesagt.
Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, während er schluckte. «Die Sache ist die, ich weiß nicht, wie lange ich weg sein werde.
Die Beerdigung muss organisiert werden, und …» Er brach ab und legte eine Hand über die Augen. Kate sah seine Schultern zucken. Mit einer schnellen Bewegung schob sie
den Brief zurück in den Umschlag, bevor er ihn sehen konnte.
|348| Er wischte sich mit dem Handballen über die Augen. «Ich weiß, es kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Ich bin so bald wie
möglich wieder da.»
«Mach dir deswegen keine Sorgen. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst.» Sie wusste nicht, was sie sonst noch hätte sagen sollen.
«Du hättest einfach anrufen können.»
Er zuckte die Achseln. «Der Zug geht sowieso von King’s Cross. Einer fährt in einer halben Stunde, sodass ich vorm Abendessen
dort sein kann.»
«Hast du einen Fahrschein?»
«Nein. Noch nicht.»
«Dann solltest du besser gehen. Ich möchte nicht, dass du den Zug verpasst.»
Clive nickte, rührte sich aber nicht von der Stelle. Kate kam hinter dem Schreibtisch hervor und ließ den Umschlag in ihre
Tasche gleiten, während sie vor ihn hintrat und ihn umarmte. Er erwiderte ihre Umarmung, dann lösten sie sich voneinander.
«Ich rufe dich an.»
Er ging hinaus. Der Regenschirm tropfte immer noch auf den Teppich, aber jetzt langsamer. Kate schaltete die Lichter an und
setzte die Kaffeemaschine in Gang.
Der Brief vom Parker Trust hatte in ihrer Tasche Eselsohren bekommen. Kate nahm ihn heraus. Sie sah den Umschlag an, ohne
den Brief herauszuziehen. Plötzlich riss sie ihn abrupt in zwei Hälften und zerfetzte die Hälften in immer kleinere Stücke,
die sie schließlich von sich schleuderte. Während sie wie tote Motten zu Boden flatterten, riss Kate ihre Handtasche an sich
und begann, sie zu durchwühlen.
Sie zog das alte Zigarettenpäckchen heraus. Mit unsicheren Händen schob sie sich eine Zigarette zwischen die Lippen |349| und versuchte, dem Feuerzeug eine Flamme abzuringen. Es gab nur ein trockenes Klicken von sich.
«Scheiße! Jetzt komm schon!»
Sie schlug das Feuerzeug gegen den Schreibtisch und schüttelte es. Beim nächsten Schnippen ihres Daumens produzierte es eine
gelbe Flamme: Sie hielt sie an die Zigarette, zögerte einen Augenblick und senkte dann mit einer plötzlichen Neigung ihres
Kopfes die Spitze der Zigarette in die Flamme.
Sie glühte hell auf. Ein dünner Feuerring bewegte sich auf Kate zu und ließ einen zerbrechlichen Zylinder bleicher Asche zurück,
als sie den Rauch in ihre Lungen sog. Die Zigarette schmeckte schal, aber das Nikotin wirkte sofort. Vor ihren Augen drehte
sich alles, und einen Herzschlag lang hielt sie den Atem an, um sich von dem Gefühl durchströmen zu lassen. Dann würgte sie.
Der Rauch verbrannte ihre Kehle und ihre Nase, bis sie schließlich heftig husten musste. Mit tränenden Augen brachte sie die
Zigarette in einer halbleeren Kaffeetasse zum Erlöschen.
Sie erstarb mit einem schnellen Zischen. Kate schob die Brühe aus kaltem Kaffee und Asche von sich und ließ sich in ihren
Stuhl sinken. Sie hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Sie grub in ihrer Handtasche, bis sie ein Röhrchen Pfefferminzbonbons
fand. Das Pfefferminz tat ihrem Rachen gut, konnte aber das bis tief in die Lunge reichende Gefühl der Verpestung nicht vertreiben,
genauso wenig wie die Angst, dass dieser eine Zug bereits den Fötus vergiftet haben könnte, den sie in sich
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