Flammenbrut
Schluckauf, als das Schluchzen nachzulassen begann. Lucy strich ihm
das feuchte Haar aus der Stirn und sah Kate mit einem kläglichen Lächeln an.
«Du hast Schnodder auf der Schulter.»
Kate wischte den Rotz mit einem Taschentuch weg. Sie konnte noch immer das Gewicht des Kinderkörpers in ihren Armen spüren,
wie Phantomschmerzen nach einer Amputation.
«Also, was ist denn nun wirklich mit dir los?», fragte sie.
|81| Das Licht spiegelte sich auf Lucys Sonnenbrille und verbarg ihre Augen. «Einer von Jacks Kunden ist gerade pleitegegangen.
Steht mit zehntausend bei uns in der Kreide.» Sie brach ab und blickte über den Park. «Einen Verlust in der Größenordnung
können wir uns nicht leisten. Und Jack hat gerade neue Geräte gekauft.» Immer noch, ohne Kate anzusehen, schüttelte sie den
Kopf. «Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Vielleicht müssen wir das Haus verkaufen.»
«Oh, Lucy, nein!»
Lucy seufzte. «Vielleicht kommt es nicht so weit. Jack will heute mit der Bank reden. Aber wenn die auf stur schalten …» Sie machte sich nicht die Mühe, den Satz zu Ende zu bringen.
Kate ging im Geiste schnell ihre eigenen Finanzen durch. «Ich könnte euch etwas leihen. Nicht zehntausend, aber vielleicht
genug, um euch über Wasser zu halten. Damit ihr das Haus behalten könnt.» Sie wusste, wie sehr Lucy und Jack an ihrem Haus
hingen. Wenn sie es verkaufen mussten, würden sie nie wieder etwas Vergleichbares finden.
Lucy lächelte trostlos. «Vielen Dank. Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber … Na ja, warten wir erst mal ab, was die Bank sagt, ja?» Sie holte tief Luft. «Aber du kannst dir sicher vorstellen, dass
ich von Anfang an nicht gerade bester Laune war. Und als dieses kleine Ungeheuer hier …» – sie drückte Angus kurz an sich – «… sich dann auch noch in Hannibal Lecter verwandelt hat, war das genau das, was mir heute noch fehlte.»
Sie grinste. «Na ja, so viel zu meinen Traumata. Wie geht’s dir?»
Kate holte tief Luft. «Ich habe eine Klinik gefunden», sagte sie.
|82| Der abrupte Themenwechsel schien Lucy zu verwirren. «Was?»
«Ich habe eine Klinik gefunden. Um die künstliche Befruchtung durchführen zu lassen.»
Lucy war verblüfft. «Ich dachte, du hättest diese Idee aufgegeben?»
«Nein. Mir gefiel nur der Gedanke an einen anonymen Spender nicht. Aber ich habe die HFEA – die ‹Human Fertilisation and Embryology
Authority› – angerufen, und die sagten mir, dass die Kliniken zwar die Identität ihrer eigenen Spender vertraulich behandeln
müssen, dass es aber einige Kliniken gibt, die einem stattdessen erlauben, einen «bekannten Spender» zu benutzen. Jemanden,
den man selber kennt, den man selbst ausgesucht hat.»
«Und an wen denkst du da?» Lucy klang entsetzt.
«Das weiß ich noch nicht.» Für den Augenblick genügte es, zu wissen, dass es möglich war.
«Um Gottes willen, Kate, ich dachte, der eigentliche Zweck des Ganzen wäre, dass du den Vater aus der Sache raushalten willst!»
«Das will ich immer noch, aber das heißt nicht, dass es mir egal wäre, wer es ist.»
«Ja, aber ich meine Folgendes – der Vater würde in dem Falle doch auch wissen, wer
du
bist, oder? Ich dachte, ein anonymer Spender wäre schon schlimm genug, aber dann bräuchtest du dir wenigstens keine Gedanken
darüber zu machen, was er nachher anstellen wird! Angenommen, er ändert seine Meinung und kommt zu dem Schluss, dass es genauso
gut sein Baby wie deins ist? Du handelst dir da vielleicht alle
möglichen
Probleme ein!»
«Nicht, wenn ich bei meiner Wahl sehr vorsichtig bin. Und juristisch gesehen ist seine Position die gleiche wie |83| die eines normalen Spenders. Er wird nicht als der gesetzliche Vater anerkannt werden, daher wird er auch keine Vormundschaftsrechte
haben oder etwas in der Art. Ich muss lediglich aufpassen, dass das von Anfang an klar ist.»
Lucy verkniff sich die Bemerkung, die ihr offensichtlich auf der Zunge gelegen hatte. «Und du hast tatsächlich eine Klinik
gefunden, die das machen würde?»
«Es gibt eine in Birmingham …»
«Birmingham!»
«Ich weiß, das ist ziemlich weit weg, aber die scheinen da sehr gut zu sein.» Das war nicht ihr einziger Grund. Kate hatte
einen Gutteil der in der HFE A-Broschüre aufgelisteten Kliniken durchtelefoniert – einschließlich der, die sie bereits aufgesucht hatte –, bevor sie endlich auf eine gestoßen war, die sich bereitfand, sowohl eine alleinstehende
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