Flammenbrut
denken. Der Zug
schlingerte und kam im Tunnel quietschend zum Stehen. Bei dem plötzlichen Ruck brach Kate ein klebriger Schweiß aus, ein Zeichen,
das sie zu erkennen gelernt hatte; das Erbrechen stand unmittelbar bevor. Sie betete, dass der Zug sich wieder in Bewegung
setzen würde, und versuchte zu überlegen, ob sie irgendetwas in ihrer Tasche hatte, in das sie sich hätte übergeben können.
Aber da war nichts als die Tasche selbst.
Sie schloss die Augen, aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Der Zug machte einen Satz nach vorn, und Kate sah zu
ihrer Erleichterung die Lichter eines Bahnsteigs draußen vorm Fenster aufscheinen. Ohne sich darum zu scheren, an welcher
Station sie sich befand, stieg sie hastig aus der Bahn und drängte sich durch die Menge derer, die darauf warteten, einsteigen
zu können. Während sie so ruhig wie nur möglich durch die Nase ein- und ausatmete, lief sie die Rolltreppe hoch und hielt
verzweifelt nach einem Toilettenschild Ausschau.
In der oberen Bahnhofshalle wurde sie fündig. Kate |285| durchlebte noch ein paar unangenehme Sekunden, in denen sie kein Zwanzigpencestück für das Drehkreuz finden konnte, aber dann
war sie durch und verriegelte die Toilettentür hinter sich.
Das einzig Gute daran war, dass es schnell vorüberging. Sie fühlte sich zwar erbärmlich, aber nicht mehr ganz so furchtbar
wie zuvor, spülte sich über dem Waschbecken den Mund aus und trocknete ihn mit einem Papierhandtuch. Sie betrachtete ihr Spiegelbild
über den Wasserhähnen. Ihr Gesicht sah bleich aus, die Haut unter den Augen verfärbt.
Du hast es so gewollt
, rief sie sich ins Gedächtnis.
Für Selbstmitleid ist es jetzt zu spät.
Durch das Erbrechen war ihr Blutzucker derart gesunken, dass er förmlich nach etwas Essbarem schrie. Sie überlegte kurz, ob
sie Clive Bescheid sagen sollte, gelangte aber zu dem Schluss, dass er ihre Verspätung ohnehin bemerken würde, und ging in
ein Café direkt vor dem U-Bahnhof . Sie bestellte sich ein Croissant und Marmelade und dazu einen schwachen, milchigen Tee. Der Kaffee duftete wunderbar, aber
sie hatte gelesen, dass Kaffee genau wie Alkohol einer Schwangerschaft eher abträglich war. Während sie einen Löffel Zucker
in den Tee rührte, fragte sie sich, ob sie das neun Monate lang aushalten würde.
Als sie das Café verließ und wieder die Rolltreppe hinunterging, um den nächsten Zug zu nehmen, fühlte sie sich schon ein
wenig besser. Und als hätte die Unterbrechung ihrer Fahrt ein Zeichen gesetzt, hatte Kate es nun überhaupt nicht mehr eilig,
zur Arbeit zu kommen. Es war fast elf, als sie in die Straße mit den georgianischen Reihenhäusern einbog. In dem Büro im Erdgeschoss
brannte Licht, und durch die Fenster sah sie, dass Clive sich einen Stapel Papiere an die Brust drückte. Sie hatte gerade
noch Zeit, seinen |286| gestressten Gesichtsausdruck wahrzunehmen, bevor sie die Tür öffnete und wie angewurzelt stehenblieb.
Das Büro glich einem Schlachtfeld. Die Tische waren umgeworfen, die Schubladen des Aktenschranks herausgezogen und auf den
Boden geleert worden. Überall auf dem Teppich lag Papier verstreut. Als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, drehte Clive
sich um, das Bündel Papiere immer noch an die Brust gepresst. Josefina und Caroline lagen beide auf den Knien und rafften
noch weitere Blätter zusammen.
Endlich fand Kate ihre Stimme wieder. «Was ist passiert?»
Clive legte die Papiere auf einen Stuhl. «Bei uns hat jemand eingebrochen. Allerdings», räumte er ein, «scheint nichts gestohlen
worden zu sein. Jedenfalls soweit ich das bisher beurteilen kann.»
Kate schloss die Tür hinter sich und bahnte sich einen Weg durch das Chaos. «Habt ihr schon die Polizei verständigt?»
«Ja – wozu auch immer das gut sein mag. Sie wollen, dass wir eine Liste machen. Von allem, was gestohlen wurde. Sie schicken
jemanden wegen Fingerabdrücken rüber, daher sollen wir nach Möglichkeit nichts anfassen. Aber ich dachte, wir könnten uns
auch gleich die Ärmel hochkrempeln und versuchen, den Schlamassel aufzuräumen.»
Kate sah sich nur mit weit aufgerissenen Augen um.
«Sieht so aus, als hätte jemand das Toilettenfenster hinten eingeschlagen», fuhr Clive fort. «Die Polizei meint, beim Zeitungskiosk
weiter runter die Straße wäre ebenfalls eingebrochen worden. Das war allerdings ein richtiger Einbruch, und sie meinen, der
Alarm vom Kiosk hätte unseren Täter rechtzeitig
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