Flammenbrut
Kate, es ist doch noch nicht mal ein Baby! Sei nicht dumm!»
«Ich bin nicht dumm.»
«Ach nein?» Lucy verdrehte die Augen. «Das ist wieder mal so typisch für dich! Du nimmst von niemandem Rat an, nicht wahr?»
Kates Zorn hatte nur auf ein Ziel gewartet. «Wenn ich deinen Rat angenommen hätte, wäre ich mittlerweile schon mit ihm verheiratet!»
«Ich gebe zu, er hat auch mich zum Narren gehalten, aber ich habe von Anfang an gesagt, dass ich das Ganze für eine schlechte
Idee hielt. Aber du wolltest ja nichts davon hören! Du warst ja versessen darauf, die Sache auf deine Art anzugehen, und sieh
nur, wohin dich das gebracht hat!»
|282| «Du glaubst also, das Ganze sei meine Schuld, ja?»
«Wenn du schon fragst – jawohl! Niemand hat dich dazu gezwungen, du warst diejenige, die es so haben wollte. Herrgott, manchmal
würde ich dich am liebsten einmal kräftig durchschütteln! Man sollte doch glauben, du hättest deine Lektion mittlerweile gelernt!»
«Was soll das jetzt wieder heißen?»
Lucys Wangen waren zornrot geworden. «Nichts. Vergiss, was ich gesagt habe.»
«O nein, ich will wissen, was das heißen sollte!»
«Du weißt, was es heißen sollte. Ich spreche von Paul Sutherland. Du hättest ihn, schon Monate bevor es zu diesem Eklat gekommen
ist, verlassen sollen, aber nein, du musstest ja warten, bis er dich rauswarf! Im Ernst, ich verstehe dich nicht, Kate! Wenn
eine Situation schlimm ist, hat man fast den Eindruck, dass du dir ein Bein ausreißt, um sie
noch
schlimmer zu machen!»
«Du kannst unmöglich diese beiden Männer miteinander vergleichen!»
«O doch, es ist genau dasselbe wie damals.»
Kates Gesicht brannte. «Bloß dass diesmal nur eine von uns mit ihm geschlafen hat.»
Noch während sie die Worte aussprach, wusste sie, dass sie den Streit auf eine andere Ebene hob, aber jetzt war es zu spät.
Lucy funkelte sie wütend an.
«Na prima, kommen wir endlich darauf zu sprechen! Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du mir
das
an den Kopf wirfst!»
«Ich werfe dir nichts an den Kopf. Ich erinnere dich nur daran, dass du nicht ganz so vollkommen bist, wie du glaubst.»
«Das vielleicht nicht, aber immerhin bin ich in der Lage, |283| auch Beziehungen zu führen, die nicht in der Katastrophe enden!»
«Ach, verpiss dich doch!»
Sie starrten sich mit weit aufgerissenen Augen an, geschockt über den plötzlichen Bruch ihrer Freundschaft. Ihr Atem umhüllte
sie in einer weißen Wolke. Auf einmal konnten sie einander nicht mehr in die Augen sehen. Lucy sprach als Erste.
«Na schön, kannst du haben. Aber komm am Ende bloß nicht wieder zu mir und Jack gelaufen.»
«Keine Bange, das werde ich nicht.»
Sie gingen in unterschiedlichen Richtungen auseinander. Kate rechnete halb damit, dass Lucy ihr etwas nachrief, und ein Teil
von ihr wollte sich umdrehen und selbst den entscheidenden Schritt tun. Aber Lucy rief nicht nach ihr, und Kate ging weiter.
Als sie an die Ecke kam und sich noch einmal umsah, war Lucy fort.
Die morgendliche Übelkeit war ein Vergnügen, mit dem Kate nicht gerechnet hatte. Natürlich hatte sie gewusst, dass so etwas
zu erwarten wäre, aber Erwartung und Erfahrung waren noch lange nicht dasselbe. Den Brechreiz in der Bibliothek hatte sie
zunächst dem Schock zugeschrieben, aber am Morgen darauf kehrte er zurück. Seitdem war er zu einem regelmäßigen Teil ihrer
morgendlichen Routine geworden; er gehörte genauso dazu wie duschen, anziehen, zur U-Bahn gehen, und sie wusste, dass sie irgendwann auch das tatsächliche Erbrechen in ihren Zeitplan würde einfügen müssen.
Es wäre ja nicht so schlimm, dachte sie, wenn es jeden Tag zur selben Zeit passieren würde. Sie wusste, dass Lucy |284| (obwohl sie versuchte, nicht an Lucy zu denken) damals die Uhr danach stellen konnte; sie hatte jeden Morgen darauf geachtet,
dass sich zwischen elf und Viertel nach eine Toilette in ihrer Nähe befand. Aber Kates Übelkeitsattacken waren weniger berechenbar.
Die Magenverstimmung, mit der sie zu erwachen pflegte, konnte den ganzen Tag anhalten wie ein Kater nach einer durchzechten
Nacht. Manchmal aber hatte sie Schwierigkeiten, noch rechtzeitig ins Bad zu kommen.
Als sie in der U-Bahn saß, spürte sie, wie die Übelkeit langsam hochstieg. Ängstlich zählte sie die Stationen ab, die sie noch vor sich hatte.
King’s Cross war mehrere Haltestellen entfernt. Sie saß vollkommen reglos da und versuchte, nicht daran zu
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