Flammenbrut
verstehen.»
Die junge Frau saß mit gesenktem Kopf da. Kate konnte ihre Schultern zittern sehen. Ein Stück weiter auf derselben Bank putzte
sich ein älterer Mann die Nase und tupfte sich die Augen ab.
«Es ist nicht immer leicht. Wir haben einen Freund verloren. Einen Sohn. Einen Ehemann. Und einen Vater, denn das Kind, das
Kay, Alex’ Frau, unter dem Herzen trägt, wird ihn nun nie kennenlernen.»
Einen Augenblick lang dachte Kate, er hätte ihren eigenen Namen ausgesprochen: Wieder sah sie zu der jungen Frau in der ersten
Reihe hin.
«Eine der Tragödien ist die, dass auch Alex sein Kind niemals sehen wird, ein Kind, das er und Kay sich schon lange gewünscht
haben …»
Ein kalter Luftzug strich über Kates Nacken, als die Tür der Kapelle geöffnet wurde. Sie drehte sich um und sah, wie ein Mann
in einer dicken Wachsjacke die Tür vorsichtig hinter sich zuzog. Während er auf das Ende von Kates Bank zuging, quietschten
seine Schuhsohlen auf dem Fußboden. Er setzte sich. Um seinen Hals hing eine unhandliche Kamera. |291| Als er an dem Apparat herumzufingern begann, wandte Kate hastig den Blick ab.
«Ich hatte das Privileg, Alex durch unsere gemeinsame Sozialarbeit im Viertel kennenzulernen, und ich kann wahrhaftig sagen,
dass ich in ihn als einen geduldigen und gütigen Menschen erlebt habe; einen Menschen, der sich ehrlich um diejenigen sorgte,
die hilfesuchend zu ihm kamen. Und wenn wir nun für Alex beten, möchte ich, dass wir auch für den gequälten jungen Mann beten,
der ihn uns so plötzlich entrissen hat. Und füreinander, damit wir in uns die Kraft finden können, ihm zu vergeben.»
Kates Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. Sie senkte den Kopf und ließ sie direkt auf ihren Mantel tropfen. Im allgemeinen
Rascheln, mit dem die Gemeinde sich für das Gebet bereit machte, nahm Kate ein Papiertuch aus ihrer Tasche und putzte sich
leise die Nase.
Ein Geräusch vom Ende der Bank lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Als sie aufblickte, sah sie, dass der Fotograf sich ebenfalls
vorgebeugt hatte, aber nur, um das Objektiv seiner Kamera auszuwechseln. Neben ihm stand eine geöffnete Tasche, und als er
ihr ein Objektiv entnahm, kullerte ein anderes dabei zu Boden. Sie hörte das leise Klappern und dann das gemurmelte «Scheiße»
des Mannes über die volltönende Stimme des Pfarrers hinweg.
Das Gebet war zu Ende. Der Pfarrer fuhr fort, aber jetzt wanderte Kates Aufmerksamkeit zwischen seiner Rede und dem Fotografen
hin und her.
Die Messe war kurz. Es wurde nicht gesungen. Stattdessen saßen sie schweigend da, während über die Lautsprecher Elgars Cellokonzert
erklang. Am Ende des Konzerts wollte Kate sich eigentlich lautlos aus der Kirche stehlen, aber der Fotograf versperrte ihr
den Weg.
|292| «Wir hoffen und glauben, dass Alex’ Geist nicht gestorben ist, dass der Alex, den wir kannten und liebten, immer noch existiert,
abseits von uns, aber noch immer unversehrt», fuhr der Pfarrer fort. «Aber Alex bleibt auch auf andere Weise bei uns. Er wird
immer ein Teil unserer Herzen sein, immer in unseren Erinnerungen. Und er wird in dem Kind weiterleben, das Kay zur Welt bringt,
ein lebendes Andenken an den Alex Turner, den wir kannten und liebten und dem wir nun Lebewohl sagen wollen.»
Mit einem ruckartigen Rascheln schlossen sich die Vorhänge über dem Sarg. Als sie schwankend zum Stillstand kamen, trat der
Pfarrer ohne ein weiteres Wort von der Kanzel zurück. Kate sah noch einmal zum Fotografen. Er hatte seine Kamera gezückt und
saß nur noch auf der Kante der Bank. Sie wandte sich ab und überlegte, ob sie sich vielleicht am anderen Ende hinauszwängen
konnte. Aber die Bank grenzte direkt an die Wand.
Sie blickte gerade rechtzeitig wieder auf, um zu sehen, wie der Fotograf aufsprang und ein paar Fotos von der jungen Frau
machte, als diese sich erhob. Er glitt aus der Bank und ging zur Tür. Kate erhob sich ebenfalls zum Gehen, aber inzwischen
kamen die Leute von den vorderen Bänken bereits den Mittelgang hinunter.
Also nahm sie mit abgewandtem Kopf wieder Platz. Aus den Augenwinkeln konnte sie die junge Frau sehen, die nun auf gleicher
Höhe mit ihrer Bank stand. Ein älteres Ehepaar stützte sie zu beiden Seiten, während hinter ihr der Mann ging, der sich vor
einigen Minuten die Augen gewischt hatte. Die junge Frau ging langsam wie eine Schwerkranke, und Kate konnte ihren schweren
Leib unter dem schwarzen Mantel und das
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