Flammende Sehnsucht
Fall der Gardinen, verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf die Straße hinaus. Und trotzdem, für den Richtigen würde sich das Risiko durchaus lohnen.
»Delia«, sagte sie langsam, »ich glaube, ich könnte mich vielleicht getäuscht haben.«
Delia rang in gespielter Empörung nach Luft. »Du? Dich getäucht? Wie sollte das denn möglich sein?«
»Ich weiß nicht.« Cassie warf ihrer Schwester einen ironischen Blick zu. »Es ist das erste Mal.«
»Jedenfalls hast du es noch nie zugegeben. Und worin genau hast du dich getäuscht?«
Cassie suchte nach den passenden Worten. »Allmählich komme ich zu der Überzeugung, dass die bloße Tatsache eines zweifelhaften Rufs nicht unbedingt heißen muss, dass der Betreffende kein anständiger Mensch ist. Wenn man von seinem Ruf einmal absieht.«
»Wir sprechen wohl von Lord Berkley.«
Cassie nicke. »Er ist eigentlich gar nicht so, wie ich es erwartet hatte.«
»Kein berüchtigter Schwerenöter?«
»Doch, natürlich ist er das, wenigstens dem Ruf nach. Aber was ihn selbst angeht ...« Sie kehrte zum Sofa zurück und ließ sich neben ihre Schwester plumpsen. »Ich habe bei ihm ganz stark den Eindruck, dass er irgendwie nicht der Mann ist, den man mit seinem Ruf verbinden würde.«
»Wie interessant«, murmelte Delia.
»Ich begreife es nicht.« Cassie schüttelte den Kopf. »Normalerweise kann ich Menschen sehr gut einschätzen.«
»Du kannst gut einschätzen, was offensichtlich ist.«
Ungläubig riss Cassie die Augen auf. »Willst du damit etwa sagen, dass ich oberflächlich bin?«
»Nicht direkt, aber du hast die Menschen nie durchschaut. Meine liebe Cassie, du hast ein wunderbares Auge für Farben, und dein Geschmack ist über jeden Tadel erhaben, in Dingen siehst du mitunter Potenziale, die mir völlig entgehen, aber du warst nie in der Lage, diesen deinen Scharfblick auch auf Menschen zu übertragen.«
Die Worte ihrer Schwester trafen sie. »Du findest mich also oberflächlich.«
»Nein. Ich sage, du warst nie gezwungen, hinter die Fassaden zu blicken. Folglich hast du’s auch nie getan.«
»Das klingt mir doch sehr nach oberflächlich.«
Cassie wusste, dass sie alle möglichen Fehler hatte, aber nie hatte sie sich für oberflächlich gehalten.
»Mir scheint« - sorgsam wählte Delia ihre Worte - »dass Lord Berkley ein ausgezeichnetes Beispiel dafür abgibt. Wärt ihr beiden einander nicht zufällig über den Weg gelaufen, hättest du ihn nie und nimmer in Betracht gezogen. Aufgrund von nichts anderem als Klatsch und Tratsch kamst du zu dem Schluss, dass er unmöglich der Richtige für dich sein kann. Du hast dem Mann nie auch nur die geringste Chance gegeben.«
»Meine Güte.« Cassie sank noch tiefer ins Sofa, schloss die Augen und presste den Handrücken gegen die Stirn. »Ich bin oberflächlich.«
»Und dann, dein Bestehen auf diesem Wunschtraum und Hirngespinst,diesem lächerlichen Lord Perfect...«
»Das reicht jetzt, danke. Ich hab schon kapiert. Mehr brauch ich nicht zu hören.« Cassie stöhnte. »Ich bin ein furchtbarer, grässlicher Mensch. Ein furchtbarer, grässlicher, oberflächlicher Mensch.«
Delia lachte. »Sei nicht albern. Du bist überhaupt nicht furchtbar. In Wirklichkeit bist du sehr nett und unglaublich gescheit und überaus großzügig und - ich weiß, dass es nicht gerade bescheiden ist, das zu sagen - extrem hübsch.«
»Und oberflächlich.« Cassie seufzte tief.
»Nicht direkt. Meine Güte, Cassie, ich habe das Wort oberflächlich nie in den Mund genommen.«
Delia schnaufte.
»Du bildest dir einfach deine Meinung über jemanden - in diesem Fall Lord Berkley - und weigerst dich, dich durch irgendetwas davon abbringen zu lassen. So warst du immer, weißt du. Und auch die Möglichkeit, dass du dich vielleicht geirrt haben könntest, ziehst du nicht ernsthaft in Betracht.«
»Aber ich habe doch zugegeben, dass ich mich getäuscht habe.« Cassie öffnete die Augen und setzte sich kerzengerade hin. »Das musst du mir doch wohl zugute halten. Eben, vor nicht mal einer Minute, habe ich es zugegeben. Ich habe gesagt, dass ich mich in Lord Berkley geirrt habe.«
»Und das bringt dich nicht auf einen Gedanken?«, blaffte Delia sie an.
»Was um alles in der Welt meinst du damit?«
»Nun komm schon, Cassie. Du musst doch sehen, was sich direkt vor deiner Nase abspielt?« Delia beugte sich zu ihrer Schwester hinüber und heftete ihren unnachgiebigen Blick auf sie. »Zum ersten Mal in deinem Leben gibst du zu, dass du
Weitere Kostenlose Bücher