Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Resten der Flasche zu und trifft ihn seitlich am Hals, dreht und spürt sein warmes Blut auf den Fingern. Die Wut, die in ihr aufsteigt, ist so mächtig, dass sie sich wie berauscht fühlt. Ihr rasender Zorn glüht wie überhitzter Wahnsinn. Sie sticht von Neuem zu und trifft seine rechte Wange.
»Du hättest den Jungen nicht anrühren sollen«, schreit sie.
Sie zielt auf seine Augen und sticht zu. Seine Hände tasten nach ihr und bekommen ihre Jacke zu fassen, so dass er sie an sich ziehen und ihr mit der Faust ins Gesicht schlagen kann. Sie fällt nach hinten, ihr Blickfeld verengt sich, und ihr wird schwarz vor Augen.
Im Fallen entsinnt sie sich noch der Männer, die Tobias damals bezahlt hatten. Sie weiß noch, wie sie mit schrecklichen Schmerzen im Unterleib und verletzten Eierstöcken aufwachte.
Stöhnend schlägt sie mit dem Rücken auf den Boden, schafft es aber, den Kopf hochzuhalten. Sie blinzelt, kann wieder sehen, steht auf, schwankt, verliert aber nicht das Gleichgewicht. Von ihrem Mund läuft Blut herab. Tobias hat auf dem Boden ein Brett mit Nägeln gefunden und versucht, sich aufzurichten.
Die linke Hand mit dem gebrochenen Daumen brennt, aber in ihrer rechten Hand hält Vicky noch die abgebrochene Flasche.
Sie tritt vor und sticht auf Tobias’ ausgestreckte Hand ein, dann läuft ihr eigenes Blut in die Augen, und sie sticht blind zu, trifft ihn an Brust und Stirn, die halbe Flasche zerspringt, und sie schneidet sich an der Hand, sticht aber trotzdem weiter auf ihn ein, bis er fällt und liegen bleibt.
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VICKY KANN NICHT MEHR LAUFEN , geht mit Dante in den Armen aber dennoch immer weiter. Es kommt ihr vor, als müsste sie sich jeden Moment übergeben, sie hat jegliches Gefühl in den Armen verloren und fürchtet, den Jungen fallen zu lassen. Sie bleibt stehen und versucht, ihn anders zu fassen, gerät jedoch ins Taumeln und fällt auf die Knie. Vicky stöhnt auf und legt Dante vorsichtig auf den Boden. Er ist wieder eingeschlafen. Sein Gesicht ist leichenblass, sie hört seinen Atem kaum.
Sie müssen entweder schnell weg oder sich verstecken.
Sie sammelt sich, beißt die Zähne zusammen, packt seine Jacke und schleift ihn zu einem Müllcontainer. Vielleicht kann man sich hinter ihn zwängen. Dante wimmert und atmet plötzlich unruhig. Sie streichelt ihn und sieht, dass er die Augen kurz öffnet, dann aber wieder schließt.
Es sind vielleicht zehn Meter bis zu einer Glastür neben einem hohen Garagentor, aber sie hat nicht mehr die Kraft, ihn noch weiter zu tragen. Ihre Beine zittern von der Anstrengung. Sie würde sich gerne hinter Dante hinlegen und schlafen, weiß aber, dass sie das nicht tun darf.
Ihre Hände sind blutig, aber sie spürt nichts, sie hat kein Gefühl in den Armen.
Hinter der Glastür sieht man eine menschenleere Straße.
Sie sinkt auf die Hüfte herab, atmet schwer und versucht, sich zu konzentrieren, schaut ihre Hände und den Jungen an, streicht ihm die Haare aus dem Gesicht und beugt sich über ihn.
»Wach auf«, sagt sie.
Er blinzelt, sieht ihr blutiges Gesicht an und wirkt ängstlich.
»Das ist nicht schlimm«, sagt sie. »Es tut nicht weh. Hast du schon mal Nasenbluten gehabt?«
Er nickt und befeuchtet seinen Mund.
»Dante, ich kann dich nicht mehr tragen, das letzte Stück musst du selber gehen«, sagt Vicky und ist vor Erschöpfung den Tränen nah.
»Ich schlafe die ganze Zeit«, sagt er und gähnt.
»Jetzt geht es nach Haus, es ist vorbei …«
»Was denn?«
»Jetzt geht es nach Hause zu deiner Mama«, sagt sie und lächelt mit ihrem ganzen müden Gesicht. »Du musst nur noch ein bisschen gehen.«
Er nickt, streicht sich mit der Hand über den Kopf und setzt sich auf.
Weit entfernt in der großen Lagerhalle fällt etwas scheppernd zu Boden. Es hört sich an wie eine ganze Reihe von Stahlrohren, die erst rollen und dann liegen bleiben.
»Jetzt versuch mal, aufzustehen«, flüstert Vicky.
Sie rappeln sich beide auf und gehen auf die Glastür zu. Jeder Schritt fällt Vicky unerträglich schwer, und sie erkennt, dass sie es nicht schaffen wird, als sie auf einmal das Blaulicht des ersten Streifenwagens sieht. Weitere Wagen treffen ein, und Vicky denkt, dass sie gerettet sind.
»Hallo?«, ruft ein Mann mit rauer Stimme. »Hallo?«
Seine Stimme hallt zwischen den Wänden und der hohen Decke wieder. Vicky ist schwindlig, und sie muss stehen bleiben, aber Dante tapst weiter.
Sie stützt sich mit der Schulter auf das kalte Metall des
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