Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Gipsrelief von Kopenhagen herunter, stürzt nach hinten und schlägt mit dem Hinterkopf auf den Fußboden des Flurs.
73
DER BODEN UNTER FLORAS RÜCKEN ist kalt wie ein hartgefrorener Acker, als sie den Kopf hebt und ins Badezimmer starrt.
Ihr Herz pocht.
Sie kann das Mädchen nicht mehr sehen.
Es gibt weder Blutspritzer auf dem Badewannenrand noch auf dem Vorhang. Neben der Toilette liegt eine von Hans-Gunnars Jeans.
Sie blinzelt und denkt, dass sie sich versehen haben muss.
Sie schluckt, lässt den Kopf auf dem Boden ruhen und wartet, bis sich ihr Herz beruhigt. In ihrem Mund breitet sich ein deutlich spürbarer Blutgeschmack aus. Sie sieht, dass die Tür zu ihrem Mädchenzimmer weiter hinten im Flur offen steht. Sie schaudert und bekommt Gänsehaut am ganzen Körper.
Sie weiß, dass sie zu war, weil sie ihre Tür immer schließt.
Plötzlich wird von ihrem Zimmer aus eisige Luft angesogen. Sie sieht kleine hüpfende Wollmäuse und verfolgt sie mit den Augen. Sie tanzen im Luftzug über den Flurboden und zwischen zwei nackte Füße.
Flora hört sich selbst einen seltsamen, jammernden Laut von sich geben.
Das Mädchen, das neben der Badewanne lag, steht nun im Türrahmen zu ihrem Zimmer.
Flora versucht, sich aufzusetzen, aber ihr Körper ist vor Angst betäubt. Sie weiß, dass sie einen Geist sieht, zum ersten Mal in ihrem Leben sieht sie tatsächlich einen Geist.
Es sieht so aus, als hätte das Mädchen seine Haare zu einer hübschen Frisur hochgesteckt, doch die ist blutig und verfilzt.
Flora atmet schnell und hört die Pulsschläge in den Ohren donnern.
Als das Mädchen auf Flora zugeht, verbirgt es etwas hinter seinem Rücken. Es bleibt mit seinen nackten Füßen nur einen Schritt vor Floras Gesicht stehen.
»Was habe ich hinter meinem Rücken?«, fragt das Mädchen so leise, dass man die Worte kaum versteht.
»Du existierst nicht«, flüstert Flora.
»Möchtest du, dass ich dir meine Hände zeige?«
»Nein.«
»Aber ich habe doch gar nichts …«
Ein schwerer Stein plumpst hinter dem Mädchen auf den Boden, so dass er erzittert und Krümel des zerbrochenen Gipsbilds hochhüpfen.
Lächelnd zeigt das Kind seine leeren Hände.
Der Stein liegt hinter ihm, zwischen den Füßen, dunkel und groß. Mit scharfen Kanten, als stamme er aus einer Eisenerzgrube.
Das Mädchen tritt prüfend mit dem Fuß dagegen, so dass er sich leicht bewegt, dann schiebt es den Stein unter großer Anstrengung zur Seite.
»Nun stirb doch endlich«, murmelt das Mädchen vor sich hin. »Nun stirb endlich.«
Das Kind geht in die Hocke, legt seine hellgrauen Hände auf den Stein, bewegt ihn ein wenig und versucht, ihn richtig zu greifen, rutscht ab, wischt sich die Hände an seinem Kleid trocken, fängt wieder an, wälzt den Stein mit einem dumpfen Knall auf die Seite.
»Was hast du vor?«, fragt Flora.
»Mach die Augen zu, dann bin ich weg«, antwortet das Mädchen, packt den scharfkantigen Stein und hebt ihn über Floras Kopf.
Der Stein ist schwer, aber es hält ihn mit zitternden Armen direkt über Floras Gesicht. Die dunkle Unterseite des Steins scheint feucht zu sein.
Plötzlich ist der Strom wieder da. Überall gehen Lampen an. Flora rollt auf die Seite und setzt sich auf. Das Mädchen ist verschwunden. Aus dem Fernseher dringen laute Stimmen zu ihr, und der Kühlschrank surrt.
Sie steht auf, schaltet weitere Lampen an, geht zu ihrem Zimmer, öffnet die Tür, macht die Deckenlampe an, öffnet die Schränke und schaut unters Bett. Anschließend setzt sie sich an den Küchentisch. Sie merkt, dass ihre Hände zittern, als sie versucht, die Nummer der Polizei zu wählen.
Die automatische Vermittlung präsentiert ihr eine Reihe von Wahlmöglichkeiten. Sie kann eine Straftat melden, einen sachdienlichen Hinweis geben oder Antworten auf allgemeine Fragen bekommen. Diese letzte Möglichkeit eröffnet ihr den Kontakt zu einer Telefonistin.
»Polizei«, meldet sich eine freundliche Stimme an ihrem Ohr. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Ich möchte gerne mit jemandem sprechen, der diese Sache in Sundsvall bearbeitet«, sagt Flora mit zitternder Stimme.
»Und worum geht es?«
»Ich glaube … ich glaube, dass ich die Mordwaffe gesehen habe«, flüstert Flora.
»Soso«, meint die Telefonistin. »Dann schlage ich vor, dass Sie mit unserer Abteilung für sachdienliche Hinweise sprechen. Ich verbinde Sie.«
Flora will gerade protestieren, als sie auch schon das Klicken im Hörer hört. Wenige Sekunden später meldet
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